Raum für Differenz und Widerspruch

In der Hochschule Mittweida feierten prominente Gäste den 30. Geburtstag der SLpB. Neben zahlreichen Glückwünschen und einer gelungenen Onlineübertragung gab es lebendige Diskussionen.

Kurz vor Start herrscht hektische Betriebsamkeit hinter den Kulissen des 30. Geburtstags der SLpB. An diesem ersten Montag im Juli strahlt die Sonne schon vormittags warm über Mittweida, drinnen im futuristischen Hochschulgebäude des Zentrums für Medien und Soziale Arbeit wuseln Organisatorinnen und Podiumsgäste umher. Es werden Ellbogen zur Begrüßung gereicht und frisch desinfizierte Hände gedrückt, alle sind ein bisschen aufgeregt: Nach monatelangem Lockdown ist es für manche hier die erste Veranstaltung, zu der trotz schwerpunktmäßiger Onlineübertragung so viele Leute zusammenkommen. Während auf den Gängen und bei den Häppchen gelacht und gesmalltalked wird, bereiten die Studierenden das hochschuleigene Medienzentrum für die Onlineübertragung vor.

Ehrengast Joachim Gauck

Wegen der anhaltenden Pandemielage wird das Jubiläum gestreamed: Vor Ort sind in erster Linie das Orga-Team der SLpB, die Studierenden der Hochschule Mittweida und die Gäste der Talkshow, die das heutige Highlight werden soll. Unter dem Motto "Die nächsten 30 Jahre – Die SLpB vor neuen Herausforderungen" diskutieren dank der Moderation von ARD-Journalist Meinhard Schmidt-Degenhard die Ressortleiterin der ZEIT im Osten, Anne Hähnig, und Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos-Computer-Clubs (CCC) mit Ehrengast und Altbundespräsident Joachim Gauck.

Constanze Kurz sitzt schon zum Soundcheck in dem Studio, in dem sonst die Studierenden ihre Produktionen üben. Das modern eingerichtete Herbert E. Graus-Studio hat alles da, was eine professionelle Podiumsdiskussion braucht und ist daher heute wie in den kommenden Monaten Kooperationspartner der SLpB: Die Veranstaltung ist auch als Testlauf für die anstehenden Wahlforen zur Bundestagswahl gedacht. Ganz bewusst arbeitet die Landeszentrale nicht mit einer hochprofessionellen Produktionsfirma zusammen, sondern kooperiert mit dem Medienforum der Hochschule. "Die Zusammenarbeit ist uns einfach sympathischer und dichter dran an der sächsischen Realität, auch weil die Studierenden hier und an uns lernen, wie sie später arbeiten", sagt Christina Wittich, Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit, die später während der Podiumsdiskussion live die Fragen aus den Sozialen Medien an die Podiumsdiskutierenden weitergeben wird.

30 Sekunden Verzögerung 

Aber nicht nur für interaktive Podiumsdiskussionen wie heute ist das Studio geeignet: Constanze Kurz ist als Sprecherin des CCC auch heute wieder eine gefragte Gesprächspartnerin fürs Fernsehen, es ging ein Hackerangriff auf Unternehmen durch die Nachrichten, die Tagesschau berichtet. Auf dem Flur ist Anne Hähnig mit Smalltalk beschäftigt. Alle vertreiben sich die Zeit bis zur Ankunft von Ehrengast Joachim Gauck.

Seine Limousine fährt kurz vor halb zwölf vor der Hochschule vor. Gauck steigt aus, schüttelt Hände und sagt fröhlich: "Keine Sorge, ich bin doppelt geimpft!" Dann begleitet die Truppe ihn in die Maske. Schließlich bekommt er, zwei Minuten vor Sendungsstart, noch eine kleine Führung durchs Medienforum. Einer der Organisatoren, der vor der Tür wartet, witzelt: "Das ist dann der Moment, von dem man hinterher sagt: Hier ist der Zeitplan aus dem Ruder gelaufen."

Der ehemalige Bundespräsident zeigt sich beeindruckt von Studio und Infrastruktur. "Als ich hier durchs Land fuhr, hab ich mich ab und zu mal gefragt: wo komm ich hier wohl an?", gibt er zu. "Als ich dann das Städtchen sah, dachte ich erst mal nur: aha? Aber jetzt sehe ich hier, ach du meine Güte, das ist ja ein total modernes Studio, das könnte ja in Berlin sein!" Er wechselt ein paar Worte mit den Studierenden. Dann geht es los ins Studio - mit genau 30 Sekunden passt sogar die minimale Startverzögerung zum Jubiläumsjahr, das hier begangen wird.

Gegen Populismus und Nationalismus

Auch der 1. Juli 1991, Eröffnungstag der SLpB vor 30 Jahren, war ein Montag, erinnert Moderator Meinhard Schmidt-Degenhard. In Prag unterschrieben damals die Regierungschefs des Warschauer Paktes ihr Auflösungsdokument, in London feierte Lady Diana ihren 30. Geburtstag, "in Dresden begann die Sächsische Landeszentrale für Politische Bildung ihre Arbeit, geboren im Sternzeichen des Krebs", erinnert er. "Politische Bildung, das ist immer eine Deutung von Geschichte, Gegenwart und Zukunft", sagt der Direktor der Landeszentrale, Dr. Roland Löffler in seiner Begrüßungsrede, "politische Bildung kann nie allein geschehen, ich bin gespannt, was Sie uns ins Aufgabenheft schreiben." Die Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung Katja Meier dankt in ihrem Grußwort der Arbeit des Hauses als Partner für politische Bildung: "Die Herausforderung, täglich aufs Neue für die Teilhabe an Demokratie teilzunehmen, lässt sich nicht nur von einer politischen Schaltstelle bewältigen, es braucht viele engagierte verschiedene Partner, wenn wir uns dem Populismus und Nationalismus entgegenstellen."

Ein Grußwort kommt auch vom Vorsitzenden des Kuratoriums der SLpB, Oliver Fritzsche. Die Aufgabe des Kuratoriums fasst er mit "einer gelungenen Mischung aus Aufsichtsrat und bestem Freund" zusammen: Bemühen um ein gutes Miteinander, kultivierter Streit und der Blick auf das Wohl der Landeszentrale und ihrer Aufgabenerfüllung eine die Kuratorinnen und Kuratoren. "Wie wir alle wissen, ist Vertrauen nicht nur die härteste politische Währung und ein kostbares Gut, sondern bedeutet immer auch eine besondere Verantwortung. Auch in Zukunft werden die Herausforderungen für die politische Bildungsarbeit in keiner Weise kleiner." Dass die SLPB dieser Verantwortung weiter nachkommen und gerecht werden könne und sie auch die Freiheit dafür finde, dafür werde auch das Kuratorium weiterhin seinen Beitrag leisten, so der Vorsitzende.

Schließlich hält Altbundespräsident Joachim Gauck seine Festrede. Er sieht, in Anlehnung an den Soziologen Ralf Dahrendorf, vor allem die Gefahr einer Polarität zwischen dem Wunsch nach einer offenen und einer geschlossenen Gesellschaft. Dagegen setzt er einen Appell für Geduld, für konstruktiven Streit und Kontroversen. "Wir brauchen die Auseinandersetzung, entschlossen, auch deutlich, aber mit Zivilität, ohne Ausgrenzung, und vor allen Dingen ohne Verachtung", sagt er. "Demokratie darf Unterschiede nicht glattbügeln, sondern sie muss umgekehrt Raum geben für Differenz und Widerspruch."

Wie gerecht ist Hartz IV?

In der gemeinsamen Diskussion stimmen Contanze Kurz und Anne Hähnig dem bundespräsidialen Appell zwar zu, gehen aber auch darüber hinaus. "Es ist schwierig, politische Mündigkeit herzustellen", sagt Constanze Kurz, die an Gauck einen "übertriebenen Freiheitsbegriff" kritisiert. "Freiheit wird determiniert durch die ökonomischen Ressourcen die wir haben", erinnert die Publizistin. Aber auch die Art der Fragen, die man stelle, beeinflussten das Interesse an politischen Debatten, sagt Anne Hähnig in der Runde. "Politische Bildung hatte lange etwas Volkspädagogisches: Man erklärte den Leuten jetzt mal, wie der Landtag funktioniert." Stadthallen fülle man aber eher mit Fragen wie: Wie gerecht ist Hartz IV? Welche Migrationspolitik wollen wir eigentlich? Schieben wir die Falschen ab? Müssen wir das Internet regulieren? "Wir müssen es da auch hinnehmen, dass sich da Leute zu Wort melden, die uns vielleicht nicht passen."

Bei der Beteiligung der Zuschauerfragen kritisiert Constanze Kurz aber auch, dass politische Veranstaltungen, so auch das Jubiläum der Landeszentrale, auf kommerzielle Plattformen wie Facebook und Youtube ausgelagert werden, statt die Veranstaltungen selbst zu hosten. Abgesehen davon, dass man User auf Gedeih und Verderb den Bedingungen der Streaming- und Beteiligungsdienste ausliefere, förderten diese Unternehmerin auch die weitere Polarisierung und Skandalisierung: "Nur wenn Sie polarisierende und emotionale Inhalte anbieten, haben Sie Chance auf Klicks." Die Kritik wird aufgenommen, für heute müssen sich die Zuschauenden mit den klassischen sozialen Medien und Streamingdiensten begnügen. Das tun sie fleißig: Es gibt einiges an Glückwünschen und Nachfragen.

Anzeige in der Morgenpost

Nach der Diskussion und einigen gemeinsamen Fotos geht die Geburtstagsgesellschaft zum Buffet über. An einem der Tischchen steht Ulrich Graute, der vor drei Jahrzehnten als freier Mitarbeiter des Aufbaustabs von der Landeszentrale Baden-Württemberg mit einem Kofferraum voller Bücher nach Dresden kam. Als Kommissarischer Leiter hat er dann die SLpB mit aufgebaut und ist heute Ehrengast des Geburtstags. "Wir haben damals eine winzige Anzeige in der Dresdner Morgenpost geschaltet, für zwei Mitarbeitende. Ich hätte damals nie gedacht, wie groß der 30. Geburtstag mal werden könnte", sagt er beeindruckt. Dann muss er los zu seinem Zug nach Berlin. Auch Altbundespräsident Gauck muss aufbrechen. Er hat heute Abend noch einen offiziellen Termin mit dem niederländischen Königspaar. "Es war sehr schön, endlich mal wieder so viele tolle neue Leute kennenzulernen", sagt er zum Abschied. "Die heute Abend kenne ich ja schon."

Rede des Bundespräsidenten a.D. Joachim Gauck

Aufzeichnung der Veranstaltung