„Europa bedeutet unfassbar viele Chancen!“

Mit dem Saxorail-Ticket werden Jugendliche aus Sachsen zu „Europabeauftragten“: 250 junge Menschen zwischen 18 und 27 starten dieses Jahr eine selbst organisierte Reise per Interrail und berichten auf Social Media von Begegnungen und Orten in Europa. „Saxorail“ ist ein Projekt des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG). Zur Vorbereitung der Reisen finden europapolitische Bildungsveranstaltungen in Kooperation mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) statt. Unser Autor war bei einem der Vorbereitungsseminare in Dresden dabei.

„Europa bedeutet für mich unfassbar viele Chancen!“, erklärt Fabian Rudolph. Durch die offenen innereuropäischen Grenzen könne man so viele Länder einfach erkunden. Rudolph ist Anfang 20 und studiert in Dresden Verkehrsingenieurwesen. Er möchte im August in die Schweiz und anschließend bis nach Sizilien fahren. Er ist einer von den insgesamt 250 jungen Menschen aus Sachsen, die ein kostenloses Interrail-Ticket gewonnen haben. Im Rahmen des Programms des SMJusDEG wird es „Saxorail“-Ticket genannt und ermöglicht den Jugendlichen, innerhalb eines Monats sieben internationale Zugfahrten in Europa wahrnehmen – im Jahr 2023.

An der Verlosung der Tickets nahmen im letzten Jahr über 3000 Leute zwischen 18 und 27 Jahren teil, die Gewinnerinnen und Gewinner wurden im November 2022 bekannt gegeben. Ziel des Projekts ist, den jungen Menschen das Thema Europa näher zu bringen – und zwar, indem sie selbst aktiv werden. Sie sind aufgefordert, Eindrücke während ihrer Reise über Social-Media zu teilen und mit dem Hashtag #saxorail auf das Programm aufmerksam zu machen. Mit Saxorail sollen die jungen Menschen sächsische „Europabeauftragte“ werden, so wünscht es sich das Sächsische Europaministerium.

Um mehr über Interrail, Europa und vor allem über die Europäische Union (EU) zu erfahren, absolvieren alle Saxorail-Teilnehmenden ein eintägiges Vorbereitungsseminar: Seminarorte sind Leipzig, Dresden und Chemnitz. Die Seminare in Dresden werden vom Europareferenten der SLpB, Ivo Vacík geleitet, gemeinsam mit Larissa Baidinger und Laura Vogel. Am Vormittag setzen sich die Teilnehmenden spielerisch mit der historischen Entwicklung der EU sowie ihrer Institutionen auseinander. Teils vergessenes Schulwissen wurde dabei wieder aktiviert, um der EU-Kommission die richtigen Kompetenzen und dem Élysée-Vertrag die korrekte historisch-politische Bedeutung zuzuordnen.

Welche Rolle spielt Europa in meinem Leben?

Im Laufe des Seminars wird klar: Auf der einen Seite wirkt die EU oft wie ein abstraktes Gebilde mit komplexen Strukturen. Auf der anderen Seite betreffen europäische Entscheidungen uns alle. Als kurz vor dem Mittagessen über die Zeitumstellung von Winter- auf Sommerzeit und über einen verpflichtenden Sozialdienst für junge Menschen diskutiert wird, tauen die bis dahin etwas verhaltenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf. „Mir hätte es geholfen, einen Sozialdienst machen zu müssen, da ich sehr orientierungslos war nach dem Abi“, sagt eine Teilnehmerin. Andere betonen, dass ihnen die Freiheit, selbst über ihre Zeit zu entscheiden, wichtiger sei. „Ich hab‘ auch Angst, dass ein soziales Jahr instrumentalisiert wird, zum Beispiel, um Fachkräftemangel zu kompensieren“, gibt eine andere Teilnehmerin zu bedenken.

Nach dem Mittagessen geht es weiter mit dem thematischen Block „EU & Ich“, in dem über die Auswirkungen von EU-Politik auf das eigene Leben gesprochen wird. Anhand von Symbolen wie einem Reisepass, einem Wahlzettel oder einer Glühbirne wird darüber geredet, wie und auf welchen Ebenen die EU-Politik das Leben all ihrer Bürgerinnen und Bürger beeinflusst. Im Gespräch mit einzelnen Teilnehmenden fällt auf: Alle teilen einen sehr positiven Blick auf Europa und die EU. Beseelt von der Aussicht, mit dem Zug mehrere Wochen lang Europa bereisen zu dürfen, betonen sie die Freiheit, für die Europa steht.

Freiheit und Sicherheit

Lena Kunze ist 25 Jahre alt und studiert in Leipzig. Sie möchte im Juni nach Mailand fahren und später noch nach Kopenhagen. „Ich finde es toll, in einem Staatenverbund wie der EU zu leben. Mir stehen dadurch so viele Türen offen, nicht nur in Bezug auf‘s Reisen. Sondern es bedeutet ja auch, dass ich mir meinen Beruf außerhalb von Deutschland suchen kann.“ Neben dem Begriff der Freiheit verbinden die jungen Menschen auch ein sicheres Leben mit Europa. So sagt Hanna Schmidt: „Die EU bedeutet für mich ein unglaubliches Maß an wirtschaftlicher, finanzieller und auch außenpolitischer Sicherheit“. Die 18-jährige hat in Dresden ihr Abitur abgeschlossen und macht zurzeit ein Praktikum am Universitätsklinikum. Sie möchte mit dem Saxorail-Ticket gerne Richtung Skandinavien fahren.

Lara Paddags hat ebenfalls 2022 ihr Abitur gemacht und beginnt im Herbst ein Medizinstudium. Sie möchte mit ihrem Ticket im Juli und August die Sonne genießen und plant, nach Frankreich oder Italien zu fahren. „Ich erlebe Europa wie eine große Gemeinschaft“, sagt sie in der Gesprächsrunde. Außerdem fühle sie sich auch als allein reisende Frau in Europa sicher. Für ihre Reise wünscht sie sich, mit Leuten vor Ort und der Kultur in Kontakt zu kommen. „Meine bisherigen Reisen waren eher touristisch organisiert, jetzt würde ich gerne mal so was machen wie Couchsurfing.“

Reisen ist politische Bildung

Begegnungen und Gespräche mit Menschen vor Ort sind auch für Fabian Rudolph aus Dresden wichtige Komponenten des Reisens. Er war letztes Jahr in Serbien und im Kosovo unterwegs. „Man lernt sehr viel über die Leute, die Kultur und deren Sichtweise auf die Konflikte, gerade, wenn man in Ländern ist, von denen man weniger in den Medien hört“, sagt er. „Durch Europa und die Welt zu reisen, bedeutet auch politische Bildung.“

Zu Beginn des Seminars wurde über das Umfrage-Tool Mentimeter angefragt, was die jungen Menschen mit Europa verbinden. Neben den positiven Assoziationen wie der Reisefreiheit, der Abschaffung von Roaming-Gebühren und dem Euro als länderübergreifende Währung erwähnten die Teilnehmenden auch die Lage der Geflüchteten, die auf dem Weg über das Mittelmeer ihr Leben riskieren oder verlieren. Und denen die Freiheit und Sicherheit Europas oftmals verwehrt bleiben.

Diese Reflexion konnte die Reiseeuphorie der jungen Leute jedoch nicht dämpfen. Am Nachmittag gab es noch einige wichtige Interrail-Tipps für die anstehenden Fahrten. In Frankreich und Spanien etwa benötigt man in Fernverkehrszügen eine zusätzliche, kostenpflichtige Reservierung. Da der Saxorail-Pass innerhalb eines Monats nur für sieben Reisetage eingesetzt werden kann, empfiehlt sich zudem eine gezielte, vorausschauende Planung. Hanna Schmidt freut sich darauf: „Interrail ist einfach: Europa live erfahren!“

Die europapolitischen Bildungsveranstaltungen zum Saxorail-Programm finden zum einen in Kooperation von SMJusDEG und der SLpB statt. Zum anderen hat das SMJusDEG das Europa-Haus Leipzig mit deren Umsetzung beauftragt. Auch im nächsten Jahr sind junge Menschen eingeladen, mit dem Saxorail-Programm durch Europa reisen und mehr über die EU-Partnerländer zu erfahren. Bewerbungszeitraum für Tickets ist im September 2023. Informationen dazu gibt es unter https://www.europa.sachsen.de/saxorail.html.