Demokratie und Freiheit verteidigen – Interview mit TV-Star Roman Knižka

Aktuell ist er als Unterwelt-Größe Kort Holm in der ARD zu sehen, er verkörperte auch schon den gestiefelten Kater, Ganoven, Liebhaber: Der 1970 in Bautzen geborene Schauspieler Roman Knižka ist aus zahlreichen TV- und Kinoproduktionen bekannt. Nun betritt er in seiner Heimat Sachsen die Bühne: mit dem literarisch-politischen Kammermusikabend „In diesem Land ...“ Deutschland 1923 – Das Krisenjahr. Gemeinsam mit dem renommierten Bläserquintett OPUS 45 lässt er das von Inflation, politischer Gewalt und kultureller Blüte geprägte Jahr lebendig werden. Auf Einladung der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung in Görlitz (Dienstag, 17.10.), Freiberg (Mittwoch, 18.10.) und Annaberg-Buchholz (Freitag, 20.10.).

 

Herr Knižka, woher rührt Ihr Faible für historische Stoffe? Ihr aktuelles Programm setzt sich mit dem Krisenjahr 1923 auseinander. Vorherige Programme haben zum Beispiel jüdische Geschichte in Deutschland thematisiert, für das kommende Jahr planen Sie eines zu 75 Jahren Grundgesetz.

Begonnen haben OPUS 45 und ich völlig anders: mit Kinderklassikern wie „Peter und der Wolf“ oder „Karneval der Tiere“. Dann wurde es immer politischer und immer aktueller. Mir wird zunehmend mehr bewusst, dass ich selbst Zeitzeuge bin – den Niedergang der DDR betreffend. Häufig werde ich deswegen in Schulen eingeladen. Dort wiederum laufen mir mitunter Jugendliche über den Weg, die meinen, Juden gebe es erst seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Das brachte einen Stein ins Rollen, und wir haben daraufhin mithilfe der phantastischen Dramaturgin Kathrin Liebhäuser das Programm zum jüdischen Leben in Deutschland entwickelt. Wir müssen wissen, wo wir herkommen und aus der Geschichte lernen, damit es eine gute Zukunft wird. Es gibt leider zu viele Kräfte in Deutschland, die dem entgegenwirken, die das Vorgestrige in die Zukunft ziehen wollen und für ein Allheilmittel halten. Für mich persönlich spielt es auch eine Rolle, dass ich zweifacher Vater bin. Ich glaube, wenn man Kinder hat, macht man sich mehr Gedanken über die Zukunft.

Also doch eine aufklärerische, ich hätte beinahe gesagt volkspädagogische Intention?

(lacht) Keine Sorge, Unterhaltung spielt auch eine wichtige Rolle. Gepaart mit schöner Musik im passenden Kontext. Ich benutze mein Instrument, die Stimme, und wenn ein kleiner Teil des Publikums ins Konzert kommt weil „dieser Fernsehfuzzi“ heute live zu sehen ist, stört es ja nicht.  

Konkreter zur Umsetzung Ihres literarisch-musikalischen Abends: Sie gehen dokumentarisch heran, lassen Zeitzeugen für sich und ihre Zeit sprechen?

Ich erwecke genannte Zeitzeugen auch zum Leben, gestalte die Lesung szenisch, gepaart mit wunderbarer Musik, die mal begleitend, mal kontrapunktisch zu den Texten steht. Ich sitze nicht bequem im Sessel, es geht schon zur Sache. Die Textauswahl ist sehr facettenreich. Es gibt jede Menge Tatsachen-Horror, Zeitungsartikel, Gedichte, Flugblätter. Manchmal versöhnt die Musik, manchmal verstärkt sie das Unbehagen noch.

„Mit dem ein oder anderen zeitgenössischen Schlager ist zu rechnen“, heißt es in der Programmbeschreibung. Ein bisschen Tingel-Tangel aus dem Cabaret kommt auch vor?

Aber ja, das gehört in die Zeit. Ich versuche mich auch selbst als Diva. Damals tauchten plötzlich Jazzbands auf, mit schwarzen Tänzerinnen und Tänzern – das galt als exotisch. Wenige Jahre später waren sie übrigens nicht mehr auf deutschen Bühnen zu sehen.

Es gab nach dem Katastrophenjahr 1923 auch einen Aufbruch oder eine Ausflucht in die sprichwörtlichen Goldenen Zwanziger, in den Hedonismus. Wollen Sie dies auch aufgreifen in dem ja nicht humorlosen Programm?

Selbstverständlich. Da muss Ironie rein, manches wird auf die Spitze getrieben. Ich fange gar an, zu singen. Vielleicht der einzige Grund, das Konzert nicht zu besuchen (lacht). Im Ernst – das Entertainment kommt nicht zu kurz! Ich mag diese Vergleiche überhaupt nicht, aber wenn es eine „Geschichtsstunde“ wäre, wäre sie enorm unterhaltsam. 

Fast vergessen wird, dass 1923 der Rundfunk völlig neue Unterhaltungs-, aber auch Manipulationsmöglichkeiten eröffnete.

Ja, damit lösen wir im Konzert immer wieder Aha-Momente aus. Es kamen ja zugleich enorme technische Neuerungen. Ein ambivalentes Medienphänomen, das unbedingt zu diesem Jahr 1923 gehört.

Nach spontaner Begeisterung über die Themenwahl kamen mir dann doch Zweifel. Sind Vergleiche, gar Analogieschlüsse 1923 – 2023 zulässig, und sei es in noch so guter Absicht eines Menetekels, einer Warnung?
Um eins zu eins Vergleiche geht es uns überhaupt nicht. Die Hyperinflation von 1923 kann nicht unmittelbar mit der Inflation heute verglichen werden. Das Krisenjahr 1923 wird mitunter als „das Jahr der schlecht gelöschten Brände“ bezeichnet. Eine kluge Analyse. Hier setzen wir an, durchleben gemeinsam mit unserem Publikum dieses in Teilen verrückte Jahr und hinterfragen auch, wie gut oder schlecht die gesellschaftlichen Brände heute, 2023, gelöscht werden. Damit, das zeigt die Resonanz unseres Publikums, stechen wir nicht ins Leere. Viele aus dem Publikum melden uns zurück, neue Denkanstöße erhalten zu haben. Andere fühlen sich bestätigt und für das ganz junge Publikum ist das meiste wirklich neu. Skeptiker sind ebenfalls herzlich eingeladen. Ich möchte nicht, dass die gastgebenden Orte ihnen die Türen verschließen. Ich bin nicht der Lehrer, der vorn steht und das Auswendiglernen anordnet, sondern ein energiegeladener Schauspieler mit ebensolchen Musikern und Musikerinnen – aus den besten Orchestern des Landes.

Warum nennen sich die fünf Sie begleitenden Musiker „OPUS 45“?

Einige der Musiker spielten vor rund 15 Jahren in Berlin gemeinsam Johannes Brahms’ „Ein deutsches Requiem“, das die Opuszahl 45 trägt. Der Ensemblename hat nichts mit dem Kriegsende zu tun, wie aufgrund der politischen Themen manchmal vermutet wird. Die Musiker spielen im Orchester der Hamburgischen Staatsoper, im Beethoven Orchester Bonn, NDR-Radiophilharmonie Hannover und in vielen weiteren Spitzenorchestern.

Die Lebensgefühle 1923 und heute könnten sich insofern ähneln, als die Ahnung von einer Welt vorherrscht, die aus den Fugen geraten ist. Es kam nach 1990 eben nicht das erhoffte Paradies, sondern eine Fülle immer größerer Konflikte.

Aus komplexen Gründen sind Menschen unzufriedener geworden als noch vor einigen Jahren. Es gibt ökonomische Gründe, Gefahren und sogar Kriege rücken näher heran. Manche zucken mit den Schultern, es wiederhole sich halt alles immer wieder. In der Mode, in der Politik, überall. Baue auf und reiße nieder, dann hast du Arbeit immer wieder. Das übertragen viele auf ein solches Jahrhundert. Andererseits haben wir, Jugoslawien ausgenommen, bis zum 24.2.2022 in Europa jahrzehntelang keinen Krieg mehr gehabt. Eine große Errungenschaft, ebenso wie die Demokratie, für deren Bewahrung OPUS 45 und ich uns beharrlich einsetzen. Leider wird es möglicherweise für uns Künstler an einigen Orten Polizeischutz geben müssen. Es wäre nicht das erste Mal – und das ist erschreckend. Wir haben auch einen Musiker bei OPUS 45, der darum gebeten hat, bei der Tour durch Sachsen von jemand anderem vertreten zu werden: Er fühlt sich als Schwarzer hier nicht sicher. Im Jahr 2023.

In Hamburg, NRW, Hessen und Reinland-Pfalz ist „In diesem Land …“ im September schon gelaufen. Werden Sie auf der Sachsentour etwas anders machen?

Wir recherchieren vor jedem Auftritt die historischen Besonderheiten vor Ort und nehmen darauf, wenn möglich, Bezug. Bei den Konzerten in Sachsen sind wir mithilfe der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung noch einen Schritt weitergegangen, haben die Tour der Geschichte angepasst, nicht umgekehrt. Wir spielen am 18.10. nicht zufällig in Freiberg. Die Reichswehr richtete dort im Oktober 1923 ein schreckliches Blutbad an. Es gab 29 Tote, darunter einen dreizehnjährigen Jungen.

Eine philosophisch-anthropologische Frage: Hat die Radikalisierung - damals wie heute - ihre Ursachen eher in den Zeitläufen oder kommt sie aus dem Allzumenschlichen, dem zyklischen Auftauchen der Bestie in uns als angeblicher Krone der Schöpfung? Im Auf und Ab eines Zyklus liegt ja auch eine Hoffnung.

Aber dieser Funke Hoffnung sollte nicht erst dann zünden, wenn es zu spät ist. Es tröstet nicht, dass wir noch nicht ganz bei zwölf Uhr sind. Die Menschheitsgeschichte hat uns doch gelehrt, dass keine Diktatur lange überlebt und noch nie den Menschen etwas Gutes gebracht hat. Gerade die hohen Zustimmungswerte rechter Parteien in meiner Heimat Sachsen motivieren mich, dranzubleiben, Demokratie und Freiheit zu verteidigen.

Könnte man Ihr Anliegen auch auf die Formel bringen: Löschen, bevor es brennt?

Es gilt, den Boden feucht zu halten, keine Frage. Vor diesem Hintergrund sehe ich auch die teils enormen Mittelkürzungen im Bereich der politischen Bildungsarbeit äußerst kritisch. Umso mehr freut es mich, dass die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung auch im kommenden Jahr mit uns zusammenarbeiten möchte. Thema des neuen Programms 2024 wird die Geschichte des Grundgesetzes sein.

 

17.10.: Görlitz, Kulturforum Synagoge Görlitz (Beginn 19:00 Uhr)

18.10.: Freiberg, Konzert- und Tagungshalle Nikolaikirche (Beginn 19:00 Uhr)

20.10.: Annaberg-Buchholz, Kulturzentrum Erzhammer (Beginn 19:00 Uhr)

Mehr Informationen zum Krisenjahr 1923 in Sachsen bietet unser Buch "Sachsen 1923. Das linksrepublikanische Projekt – eine vertane Chance für die Weimarer Demokratie?" von Karl Heinrich Pohl.