Ausstellungsstück 4: Entscheidungsdilemmata und Handlungskonsequenzen

Spricht man über die Originalität des Videospiels, so bildet die Möglichkeit des Rollenspiels sowie der Pfadabhängigkeit von Entscheidungen nicht selten die Galionsfigur der Begeisterung. Nicht zu Unrecht identifizieren viele Spielerinnen und Spieler hier das zentrale Unterscheidungskriterium zum statisch empfundenen Buch und zum linearen Film. Wofür eigentlich eine gänzlich eigene Galerie nötig wäre, soll in dieser kleinen Ausstellung deshalb den Schluss bilden. Weil das Ziel darin bestand, vor allem die subtileren und unbekannteren Technologien des Dabeiseins zu beleuchten, wird dem weitreichenden Feld der Entscheidungsfreiheit nur eine exemplarische Vitrine gewidmet. Eine Vitrine braucht es aber, denn ohne diesen Aspekt kann die Immersion des Videospiels kaum begriffen werden.

Achtung: Die folgende Szene enthält Gewaltdarstellungen (USK 16).

In „Detroit: Become Human“ steht die Frage im Mittelpunkt, was das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen letztlich von künstlicher Intelligenz unterscheidet. In einer futuristischen Welt, in der menschenähnliche Androiden nicht nur die Einkäufe erledigen und die Straße kehren, sondern auch als Pflegepersonal oder Ersatzmutter fungieren, spielt das französische Entwicklerstudio „Quantic Dream“ den alten Topos der Maschinenrevolution durch. Der Fokus liegt hier aber nicht auf der Frage der Gefahr eines Skynets oder dem menschelnden Kitsch eines Matrix, sondern formuliert das Problem politisch: Haben Maschinen Rechte, wenn sie in der Lage sind, diese zu fordern? Kann die Erschaffung einer Lebensform gesellschaftlich rückgängig gemacht werden? Das Spiel legt dabei großen Wert darauf, dass die Spielenden den Ausgang der Erzählung komplett selbst in der Hand haben, abhängig von Entscheidungen, die in jeder Szene im Sekundentakt getroffen werden müssen. Hier gibt es kein richtig und kein falsch, sondern moralische Dilemmata, deren Konsequenzen immer nur zu erahnen sind. Obgleich das Spiel es manchmal nicht vermeiden kann, ästhetisch in den Hollywood-Duktus der großen Gefühle und brachialen Action abzurutschen, entsteht durch die dauerhafte Relevanz der eigenen Handlungen eine immersive Spannung, die die Spielenden dazu zwingt, sich in jede Situation empathisch hineinzuversetzen. Ein ganzer eigener Reiz besteht darin, als Spieler oder Spielerin in eine Rolle zu schlüpfen, die der alltäglichen Person nicht entspricht und die Konsequenzen dieser Handlungen direkt zu erfahren.

In der gezeigten Szene wird einer der drei Androiden-Protagonisten beordert, eine Geiselnahme zu entschärfen. Bevor er die Konfrontation mit dem abtrünnigen Androiden sucht, eröffnet sich den Spielenden die Möglichkeit, den Tatort der Geiselnahme genauer zu untersuchen, um Informationen über den Vorgang einzuholen. Je nachdem, wie gründlich das geschieht und abhängig davon, wie in der Krisensituation selbst gehandelt wird, kann diese vollkommen unterschiedliche Enden annehmen, die bis zum Tod des Protagonisten selbst reichen. Dieses Ende wiederum wird in die nächste Szene des Spiels eingebaut, wodurch eine Art exponentielle Baumstruktur der Pfadabhängigkeit entsteht – die möglichen Ausgänge der Geschichte von Detroit: Become Human belaufen sich auf einen dreistelligen Bereich. Dabei wird – wenn auch überstilisiert – ein moralisches Dilemma eröffnet: Ist das „Leben“ einer Maschine etwas wert? Kann man diesen Wert mit dem eines menschlichen Lebens vergleichen? Ist es unmoralisch, eine Maschine zu belügen? Zum Vergleich wurde dieselbe Szene zweimal aufgenommen. Beim ersten Durchgang hat der Protagonist wichtige Informationen eingeholt und kalkuliert ohne Emotionen, beim zweiten kombiniert sich erratisches Verhalten mit mangelnder Vorbereitung. Viele weitere Varianten wären denkbar, würden aber den Rahm dieser Ausstellung sprengen.