Pegida im Aquarium – Versuch eines öffentlichen Dialogs

Und es geht doch: miteinander reden über Pegida. Moderiert vom Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, haben knapp 150 Bürger am 6. Januar am Sitz der Einrichtung in Dresden-Trachau den Versuch eines Dialogs unternommen. Kontrovers, aber zivilisiert und aufschlussreich. Das Protokoll einer Annäherung zum Thema „Warum (nicht) zu Pegida gehen?“

„Es ist der Versuch zu zeigen, dass man öffentlich fair zur Fragestellung diskutieren kann“, umriss Richter in seinem Eröffnungsvortrag das Ziel des Abends. Fast 70 Bürger aus Dresden und der Umgebung hatten sich seinen Auskünften zufolge schriftlich an ihn gewandt, um ihm von ihren Beweggründen wie auch Zweifeln zu berichten, montags den Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes, kurz Pegida,  auf die Straße zu folgen. Denen, die sich nicht auf der Veranstaltung äußern wollten, bot der frühere Theologe vor Beginn des Abends ein internes Forum zum Gedankenaustausch.

Barrierefreie Dramaturgie

Auch die große Runde folgte einer „barrierefreien“ Dramaturgie: Nach dem Prinzip des sogenannten fish bowl (Goldfischglas/Aquarium) sind jeweils vier freiwillige Redner miteinander unmittelbar an einem Tisch konfrontiert. Reden kann, wer mag und was er mag. Einzuhalten sind nur das Thema, eine zumutbare Redezeit und eben Fairness gegenüber dem politisch Andersdenkenden. Auch die persönliche Vorstellung ist Teil des Procederes. Akzeptiert werden muss darüber hinaus, dass jede Person im „Glas“ zu jederzeit von jedem anderen Gast der Veranstaltung „abgeklatscht“, also aus dem inneren Zirkel herauskomplimentiert werden kann.

Mehr als ein Dutzend Zuhörer nutzten die Gunst der zweistündigen Veranstaltung zur Rede. Da ist der besorgte Bürger aus dem kleinen Ort bei Nossen im Landkreis Meißen, dessen Gemeinde nach seiner Darstellung auf einen Schlag 50 ledige Flüchtlingsmänner geschickt bekommt und sich davon überfordert sieht. Seine zentrale Forderung: „Hört uns zu!“ Da ist der ehemalige Beamte mit westdeutschem „Migrationshintergrund“, der nur auf den Pegida-Demonstrationen einen Ort für seinen Unwillen findet, wenn es um den Umgang der Politiker mit der Asylpolitik geht. Da ist die studierte Irakerin, die mit Kopftuch die Angst der Pegida-Sympathisanten vor einer Islamisierung Deutschlands im Speziellen und der Region Dresden im Besonderen nicht teilen mag. Da ist der Dresdner, der im aktuellen Geschehen gar eine Analogie zu den letzten Atemzügen der DDR sieht, in denen sich die Menschen mit vorgefertigten Sätzen der Politiker nicht mehr zufrieden gäben. Da ist aber auch die Bürgerin, die die Anfänge von Pegida im Oktober 2014 in Dresden miterlebte und sich kurz darauf abwandte. Die sich nun auf der Gegenseite engagiert, „um der Welt zu zeigen“, dass DAS nicht das Volk ist, wie sie in Anspielung auf den zentralen Ruf der Pegida-Versammlungen hervorhob. Ein anderer Redner schlägt den Bogen zum Ukraine-Konflikt und stellt sich schützend vor Russland. Zugleich wirft er dem Westen am Beispiel Syrien vor, die Terrormiliz IS erst geschaffen zu haben.

Das anwesende Publikum selbst wirkt in der Zusammensetzung ausgewogen. 

Fatale Aufschaukelungsspirale

Ob für oder gegen Pegida – einig sind sich die Sprecher des Abends nahezu alle in ihrer Medienkritik. Den Redaktionen wird fehlende Objektivität, „systematische Unterdrückung“ von Berichten und „gelenktes Schreiben“ vorgeworfen. Zwei Journalisten, die auf Bitten von Richter in der Runde auftreten, werden zum Teil mit verächtlichen Bemerkungen vor allem von Pegida-Anhängern geschmäht. Im Fokus der Kritik steht vor allem die Berichterstattung des ostsächsischen Lokalmatadors „Sächsische Zeitung“. Scharfe Kritik übt dabei unter anderen – als letzter Redner im „Aquarium“ -  ausdrücklich der Oberbürgermeister von Kamenz, Roland Dantz (parteilos), dessen Stadtpolitik gegenüber Flüchtlingen als vorbildlich gilt. Ohne Medienschelte, aber mit Tipps für ein gedeihliches Miteinander von Flüchtlingen und Einwohnern trotz geschilderter Kommunikationsprobleme mit dem zuständigen Landratsamt hatte zuvor bereits der Bürgermeister von Neukirch, Gottfried Krause, für allgemeine Aufmerksamkeit gesorgt.

Was aber wird mit Pegida? Den Versuch einer HANDREICHUNG unternahm Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden. Es sei schade, dass sich die Anhänger einem Gespräch verweigerten, jetzt, wo die Presse neugierig werde und vor allem eine weitaus differenziertere Berichterstattung vornehme als anfangs. Denn tatsächlich hätten Medien zur anfangs „verkorksten Situation“ beigetragen, indem sie nicht richtig hingeschaut hätten, wer da mitmarschiert. Diese ersten medialen Deutungen seien von den Politikern zunächst einfach übernommen worden, schätzte der Professor ein und sprach von einer fatalen „Aufschaukelungsspirale“.

Bloß keine Belehrungen

Den Medien schrieb Patzelt darum ins Stammbuch: „Schaut genau hin (wer da demonstriert), differenziert, räumt frühere Fehler ein“, während er die Politik mahnte, sie solle nicht Verachtung produzieren und in einem belehrenden Duktus sprechen; das komme schlecht an. Vielmehr sollten die Probleme der Einwanderung auf der Sachebene angesprochen werden, ohne bei Kritikern „immer den ideologischen Hintergrund zu suchen“ und damit einem Generalverdacht zu unterstellen. Als Stichwort nannte Patzelt den Begriff Latenz-Nazi. Vor allem die Union aus CDU und CSU müsse versuchen, Pegida zu erreichen. „Sonst macht das die AfD.“ Bisher nämlich hätten Politiker der Union eher durch „Feigheit“ geglänzt, statt zu integrieren, ganz nach dem alten Muster, wer nicht wie wir selbst denkt, ist rechtsextrem. Als problematisch bezeichnete der Wissenschaftler zugleich die Aktivitäten der Gegenseite: Dieser „Aufstand der Anständigen“ laufe bei Lichte besehen auf eine Verkürzung des Rederechts und der Pluralität hinaus. Problematisch seien auch „Nazis raus“-Rufe, wo gar keine Nazis sind.

Zugleich betonte Patzelt: „Pegida im Westen ist etwas anderes als Pegida in Dresden.“ Im Westen der Bundesrepublik sei diese Bewegung sehr wohl von Rechtsradikalen unterwandert. Darum sei eine Ablehnung und Verteufelung von Pegida Dresden „die falsche Therapie auf der Grundlage einer falschen Diagnose“, sagte Patzelt mit Blick auf kritische Äußerungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Altkanzler Gerhard Schröder. Um eine „Verhärtung“ zu vermeiden brauche es vielmehr ein „Wir haben verstanden“ der politischen Klasse, sagte Patzelt in Anlehnung eines früheren Spruchs von Schröder.

Unser Bürgerrecht wieder in die Hand nehmen, und miteinander reden

Grundsätzlich aber muss sich Pegida-Dresden nach Ansicht von Patzelt entscheiden, was sie als Bewegung eigentlich wolle. Das müsse dann auch kommuniziert werden. Nur zu zeigen, dass man das Volk ist, sei nun hinlänglich geschehen, auch wenn der Ruf „Wir sind das Volk!“ Pegida noch lange nicht zum Volk mache. Gleich gar nicht habe Pegida demokratische Sonderrechte. Vielmehr aber habe Pegida nun den eigenen Reihen gegenüber die „Pflicht zur Führung“ angesichts der mehreren tausend Versammelten. „Man muss sich legitimieren lassen“, sagte Patzelt. Das schließe auch die Gefahr der Peinlichkeit oder gar eines Neins als Echo ein. Grundsätzlich müsse seitens Pegida alles aufs Gemeinwohl ausgerichtet sein, forderte er. Pegida müsse sich Dialogpartner suchen.

Das Podium dafür sei unter anderem weiter in der Landeszentrale bereitet, betonte Richter zum Abschluss. Von nun an solle es jeden ersten Dienstag einen solchen Abend zu ganz konkreten Fragen rund um Pegida, den Islam sowie um damit verbundene Dinge geben. Die nächste Runde in der Sächsischen Landeszentrale wird, der Dresdner Begegnung vom 6. Januar folgend, eine Bitte erfüllen, die stellvertretend für viele Pastorin Margrit Klatte (Dresden Neustadt) so formulierte: „Wir sollten unser Bürgerrecht wieder in die Hand nehmen und miteinander reden.“

Sonderseite zum Thema: Wir müssen reden!

Torsten Hilscher ist Freier Journalist