Am 14. November 2017 hat die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung zu einer Diskussion mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Dreikönigskirche in Dresden eingeladen. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Unterschiede aushalten. Streit wagen. Demokratie leben. Und was politische Bildung dabei soll…“.

Ein Bericht von Annette Groh.

Wenn man etwas aus Veranstaltungen von Bundespolitikern in Sachsen gelernt hat, dann dass man mit Demonstrationen, Transparenten und lauten Sprechchören zu rechnen hat. Doch an diesem Dienstag ist es erstaunlich ruhig. Vor dem Eingang auf der Hauptstraße sind ein paar Presseleute und wenige Schaulustige zu sehen. Präsent ist vor allem ein großes Aufgebot an Polizisten, die an diesem Novembervormittag relativ entspannt in die Sonne blinzeln, Kaffee trinken und abwarten. Ein Tourist aus dem Westerwald wartet darauf, ein Foto mit dem Bundespräsidenten zu ergattern. Ein paar Dresdner wenden sich enttäuscht ab, als sie erfahren, dass der Zutritt nur geladenen Gästen gestattet ist.

Ein Kamerateam des MDR, das den Bundespräsidenten schon am Vortag begleitet hat, berichtet, dass diese friedliche Stimmung auch anderswo anzutreffen war. Nicht einmal vor der Frauenkirche, wo Steinmeier am Morgen an einem ökumenischen Gottesdienst teilgenommen hatte, habe es Proteste gegeben.

Bei seiner Begrüßung im großen Saal der Dreikönigskirche machte Dr. Roland Löffler, Direktor der SLpB , deutlich, dass Demokratie kein theoretisches Konstrukt, sondern etwas Grundlegendes sei, was allen Entscheidungen, die von einer Gemeinschaft getroffen werden, zugrunde liegt. In unserem immer komplexer werdenden Alltag, wo manche politischen Entscheidungen von Gerichten wieder aufgehoben werden, sei es notwendig, politische Entscheidungen klar zu kommunizieren. Denn in der Demokratie gehe es einzig darum herauszufinden, was für die Gemeinschaft das Beste ist.

Auch Ministerpräsident Tillich bezog sich in seiner Ansprache darauf, was demokratische Diskussionen ausmacht. Das Wichtigste dabei sei das Grundgesetz als die gemeinsame Basis und gegenseitige Akzeptanz. Darum sei es wichtig, politische Bildung nicht als „erhobenen Zeigefinger“ zu betrachten, sondern als Befähigung zum Mitgestalten.

Der Bundespräsident hat seine Rede klar unter das Motto der Veranstaltung gestellt: „Unterschiede aushalten. Streit wagen. Demokratie leben.“ Dabei merkte er als erstes an, er würde sich statt Punkten Ausrufezeichen wünschen. In einer Demokratie gehörten Meinungsverschiedenheiten zur Normalität, daher täten wir uns keinen Gefallen damit, jeden Dissens zu skandalisieren. Demokratie sei nicht nur eine Idee, daher dürfe man die Auseinandersetzung nicht scheuen. Er habe jedoch den Eindruck, dass „das zähe Ringen um Kompromisse und Mehrheiten vielen ein Graus“ sei.

Die „Wiedergewinnung von Gesprächsfähigkeit“ sei eines der wichtigsten Anliegen, die unsere Gesellschaft haben müsse. Denn demokratischer Streit könne nur stattfinden, wo Gesprächsbereitschaft vorhanden sei. Steinmeier erinnerte daran, dass es auch früher angespannte Phasen ("Ostpolitik, Umweltbewegung oder NATO-Doppelbeschluss") gegeben habe, die rückblickend jedoch nicht geschadet hätten. Allerdings seien nach der deutschen Einheit Grundsatzdebatten über Zukunftsfragen unbeliebt gewesen, weil man glaubte, sie seien mit Beendigung des Kalten Krieges erledigt gewesen.

Bei den jetzigen Konflikten gehe nicht nur um die Frage nach der Aufnahme von Flüchtlingen, sondern vor allem um die äußere und innere Sicherheit, um die Veränderungen der Arbeitswelt durch die Digitalisierung, deren Wucht nicht unterschätzt werden sollte, und um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme.

Unsere Gesellschaft brauche die Debatte und den demokratischen Streit als Katalysator in Entscheidungsprozessen, dazu die Bereitschaft zur Vernunft und die Konzentration auf Problemlösungen. Alle Seiten müssten bereit sein, auf der Basis von Fakten nach Lösungen zu suchen. Deutlich rief er dazu auf, gegen Rechtsextremismus und die neue Rechte aufzustehen. Man könne nicht schulterzuckend danebenstehen und einfach zusehen. Den Initiativen und Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus zur Wehr setzen und damit „die Grundrechte unserer Verfassung verteidigen“, sprach er seinen Respekt aus.

Für die anschließende Saaldiskussion warf der Bundespräsident ein paar Fragen in den Raum, unter anderem, ob auf den Stundenplänen der Schüler genügend Platz für politische Bildung sei, wie Sachsens Jugend nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch bei den Gesellschaftsthemen Spitzenplätze in den Bildungsrankings erreichen könne und welche Rolle das Elternhaus dabei spiele.

Für die Saaldiskussion nahmen neben Steinmeier und Tillich noch der Politikwissenschaftler Prof. Werner Patzelt sowie Angela Klier vom Bürgerhaus Aue auf dem Podium Platz. In der Diskussion wurde ersichtlich, dass die demokratische Debatte immer wieder geübt werden muss – und dass es dafür Moderatoren braucht. Neben den Fragen nach finanzieller Unterstützung für die außerschulische Bildung wurde von verschiedenen Vertretern aus dem Publikum deutlich gemacht, dass die kulturelle Bildung mehr Zeit benötige. Eine Schülerin merkte an, dass die Debatten im Unterricht immer dann, wenn sie „richtig losgingen“, von den Lehrern abgebrochen würden. Der Bedarf besteht also nicht nur bei den Schülern, sondern auch in der Lehrerausbildung sowie der Erwachsenenbildung.

Bei Vertretern aus dem Bildungsbereich wurden mit der Diskussion offene Türen eingerannt. Das Fach Gemeinschaftskunde sei in den vergangenen Jahren geradezu „weggeputzt“ worden – da erhoffe man sich Impulse und eine weiterreichende Wirkung dieser Veranstaltung hier. Im Nachgang fanden es einige Besucher bedauerlich, dass weder eine Diskussion des Wahlergebnisses noch Steinmeiers Impulse ihren Weg in die Diskussion gefunden hatten. „Braucht es denn wirklich immer diesen Anstoß von außen? Warum kommt nie etwas von sächsischen Politikern?“