Staatsführung von friedlichen Protesten 1989 überrascht

Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 unternahm die SED zahlreiche Maßnahmen, um derartige Protestwellen in Zukunft zu verhindern. Vor allem personell wurden MfS, Polizei sowie Militär stark aufgerüstet. Trotz des ausgebauten Überwachungsapparates war die Staatsführung auf die Ereignisse des friedlichen Protests 1989 nicht vorbereitet und über ihr Vorgehen zerstritten. Den 40. Jahrestag der Gründung der DDR feierte die SED-Führung trotz Massenflucht und Massendemonstrationen scheinbar unbeeindruckt mit einer Militärparade und einem Fackelumzug von 100.000 Mitgliedern der Freien Deutschen Jugend (FDJ), der Jugendorganisation der SED.

Gleichzeitig baute sich auch innerhalb der SED immer mehr Frust darüber auf, dass die Partei unter der Führung Honeckers die im Raum stehenden Chancen auf Reformen und Demokratisierung der DDR verstreichen ließ, während andere Ostblockstaaten bis hin zur Sowjetunion auf diese Weise substanzielle Fortschritte erzielten. Dennoch wagte es niemand, gegen die führenden Politbüro-Mitglieder Erich Honecker, Günter Mittag und Erich Mielke, der gleichzeitig die Staatssicherheit leitete, zu opponieren.

Das kommunistische System nach sowjetischem Vorbild basierte vor allem auf der Deutung der Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels durch Wladimir Iljitsch Uljanow („Lenin“).

Stark verkürzt wiedergegeben gingen Marx und Engels schon im 19. Jahrhundert davon aus, dass der Kapitalismus sich selbst abschaffen würde, weil das Gewinnstreben der Unternehmerklasse („Bourgeoisie“) automatisch zur massenhaften Verelendung der arbeitenden Klasse („Proletariat“) führe. Eine Revolution würde demnach in dem Moment ausbrechen, in dem sich die Arbeiterklasse ihrer Unfreiheit bewusst würde. Die marxistische Theorie gewann schnell an Zulauf, jedoch waren die Nachfolger von Marx und Engels uneins über die Art und Weise, in der sich die Revolution vollziehen solle. Während einige, wie beispielsweise Karl Kautsky oder Rosa Luxemburg, eine demokratische Form des Kommunismus anstrebten, sahen andere in der Demokratie ausschließlich die Verschleierung der Ausbeutung der arbeitenden Schicht durch das Besitzbürgertum.

In diesem zweiten Sinne interpretierte auch Lenin die Rolle der Parteiendemokratie, der als Führer der „Bolschewiken“ im Jahr 1917 nach einer gewalttätigen Revolution an der Spitze der neugeschaffenen Sowjetunion stand. Im sowjetischen Modell soll sich eine Partei also nicht in Wahlkämpfen als Alternative zu anderen Parteien anbieten: Weil es nach leninistischem Verständnis keine bürgerliche Demokratie geben kann, die einen anderen Zweck als die Ausbeutung der Arbeiterschaft verfolge und Parlamentarismus sowie Parteienvielfalt nur ein „Schauspiel“ darstelle, bestehe legitime Politik allein im Durchführen der proletarischen Revolution. Deshalb bedarf es im Kommunismus auch keiner Parteienvielfalt, da nicht-kommunistische Parteien die Politik der Revolution nur zu behindern versuchten.

Kommunistische Parteien haben also nicht primär zum Ziel, zu Wahlen anzutreten, sondern vielmehr den Zweck, den Vollzug der Revolution aufrechtzuerhalten, also letztlich den realsozialistischen Staat auf allen Ebenen zu stabilisieren. Die wichtigsten Funktionen der Staatspartei im Realsozialismus besteht daher darin, aus der Bevölkerung Personal zu rekrutieren, welches ideologisch geschult und im Anschluss als Funktionäre in Staatsämter geführt werden kann ("Kaderpartei") sowie das zentrale Machtzentrum zu bilden, sodass alle wichtigen Ämter und Personen im Staat durch die Parteiführung kontrolliert werden können.

Im Aufbau der realsozialistischen Parteien gab es normalerweise formal keine Vorsitzenden, da aufgrund fehlender innerparteilicher Demokratie sowie der weltanschaulich behaupteten Gleichheit aller Menschen als Revolutionäre die Frage nach der Legitimation eines Vorsitzes vermieden werden sollte. Stattdessen konzentrierte sich die Macht in der Regel auf das Zentralkomitee der Partei, welches allerdings der Funktion nach einem Vorstand glich. Die Rolle der Regierungsleitung kommt in diesen Systemen dem Generalsekretär des Zentralkomitees zu. Entgegen dieser Logik existierte in der SED formal ein Parteivorsitz, welcher jedoch kaum mit Kompetenzen verbunden war und den für größten Zeitraum der DDR-Geschichte abgeschafft wurde. Die eigentliche Leitung der Regierung war auch innerhalb der SED an den Generalsekretär des Zentralkomitees gebunden.

AmtszeitGeneralsekretär
1950-1971Walter Ulbricht
1971-1989 (18. Oktober)Erich Honecker
1989 (18. Oktober - 03. Dezember)Egon Krenz
AmtszeitVorsitzende(r)
1946-1954Wilhelm Pieck & Otto Grotewohl
1954-1971abgeschafft
1971-1973Walter Ulbricht
1973-1989abgeschafft

Montagsdemonstrationen führen zum Ende der Ära Honeckers

Erst nach der zweiten großen Massendemonstration vom 16. Oktober 1989 in Leipzig versuchten die Mitglieder der Parteiführung, Egon Krenz, Günter Schabowski, Harry Tisch und Willi Stoph, die Initiative zu gewinnen und setzen Honecker ab. Im Politbüro fand sich keine Unterstützung mehr für den Staatsrats- und Parteivorsitzenden Honecker. Das Politbüro unterrichtete die sowjetische Staatsführung über die beabsichtigte Absetzung Honeckers, welche die Angelegenheit jedoch als innere Sache einschätzte und lediglich „viel Glück“ wünschte. Am 18. Oktober musste Honecker nach der Rücktrittsaufforderung des Politbüros von allen Ämtern "aus gesundheitlichen Gründen" zurücktreten, Egon Krenz wurde wenige Tage später als Staatsratsvorsitzender bestimmt. Die "neue" Führung aus dem ansonsten unveränderten Politbüro versuchte mit dieser Aktion einen Neuanfang. Krenz versprach im DDR-Fernsehen, die Wende einzuleiten und den Sozialismus demokratisch zu erneuern. Dieses Vorgehen erbrachte hinsichtlich der protestierenden Bürgerbewegung keine Entspannung, sondern bestärkte die Bevölkerung, weiter auf die Straße zu gehen. Gerade weil der Begriff der „Wende“ in dem Versuch der SED-Führung entstand, erneut die Kontrolle über die Ereignisse der Friedlichen Revolution zu gewinnen, wird seine Verwendung von vielen Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegungen bis heute kritisiert, da der Begriff der „Friedlichen Revolution“ sehr viel besser geeignet sei.

Am 4. November kam es auf dem Berliner Alexanderplatz zur größten Demonstration in der Geschichte der DDR. Das DDR-Fernsehen übertrug die Veranstaltung mit etwa 500.000 Teilnehmern live im Fernsehen. Die Staatsführung hatte die Demonstration ausdrücklich genehmigt. Man hoffte, der Dynamik der Straße entgegenzuwirken und versuchte, staatserhaltende Ziele an die Spitze der Forderungen zu befördern. Obwohl die Redner, auch Bürgerrechtler, sich nicht explizit der Forderungen der Demonstranten etwa nach freien Wahlen anschlossen, entwickelte die Massenkundgebung ihre eigene Dynamik und offenbarte die vielfältigen Ansichten, die Machtlosigkeit der SED und die konträren Ziele.

Bürgerrechtsbewegungen und Proteste beenden das Regime der SED

Die Handlungsunfähigkeit der neuen und zugleich alten SED-Führung und die fortgesetzten Demonstrationen führten zum Rücktritt der Regierung am 7. November 1989. Neuer Regierungschef wurde der als Reformer geltende Vorsitzende der Dresdner SED-Bezirksleitung, Hans Modrow. Modrow war nicht Mitglied des Politbüros, also des inneren Machtzirkels der Partei. Er plädierte in seiner Regierungserklärung für eine "Vertragsgemeinschaft" beider deutscher Staaten. Es folgte eine regelrechte Rücktrittswelle. Bis Dezember 1989 verließen 600.000 Mitglieder die SED. Im Januar 1990 hatte über die Hälfte der 2,3 Millionen SED-Mitglieder ihr Parteibuch zurückgegeben. Die Blockparteien CDU, LDPD, NDPD, DBD in der Volkskammer gaben am 13. November ihre bedingungslose Gefolgschaft gegenüber der SED auf, am 1. Dezember wurde der Führungsanspruch der SED aus der Verfassung gestrichen. Zwei Tage später löste sich das Zentralkomitee (ZK) der SED auf, und das Politbüro mit Krenz als Generalsekretär trat zurück.

Das unerwartete Ende der SED-Alleinherrschaft nach 40 Jahren uneingeschränkter Macht wurde durch die Ausreisebewegung, die alternativen oppositionellen Gruppen sowie die Massendemonstrationen des Herbstes eingeleitet und schließlich durch die Maueröffnung vollzogen. Nach und nach wurden das Unrecht, die Korruption, die Willkür und der Ämtermissbrauch öffentlich und führten zum weiteren Abrücken, auch zunehmend der verbliebenen SED-Basis.

Die Nachfolge der SED

Auf dem außerordentlichen Parteitag am 8. und 9. Dezember 1989 versuchte die SED, durch die Umbenennung in Sozialistische Einheitspartei Deutschlands – Partei des Demokratischen Sozialismus (SED-PDS), einen Neuanfang zu starten. Der damals weitgehend unbekannte Gregor Gysi wurde zum Parteivorsitzenden gewählt. Inhaltlich beschloss man einen "dritten Weg jenseits von stalinistischem Sozialismus und Herrschaft transnationaler Monopole". Erstmals traten Strukturen innerparteilicher Demokratie in Erscheinung. Die meisten alten Spitzenfunktionäre wie Honecker, Mielke und Stoph schloss man aus der SED-PDS aus. Im Februar 1990 wurde die Partei schließlich in „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS) umbenannt, im Jahr 2005 folgte eine weitere Namensänderung („Die Linkspartei.PDS“), bis sie im Jahr 2007 im Zuge der Fusion mit der westdeutschen WASG zur heutigen „DIE LINKE“ wurde. Die Partei gilt juristisch als Nachfolgerin der SED und erkennt diese Verantwortung auch an. Im aktuellen Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2011 findet sich dazu unter anderem folgende Formulierung:

"Es ist deutlich geworden: Ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen Mehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, sondern von einer Staats- und Parteiführung autoritär gesteuert wird, muss früher oder später scheitern. Ohne Demokratie kein Sozialismus. Deshalb formulierten die Mitglieder der SED/PDS auf einem außerordentlichen Parteitag im Herbst 1989: »Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System«. Dieser Bruch mit dem Stalinismus gilt für DIE LINKE ebenso. […] Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung sind unverzichtbar."

Grundsatzprogramm DIE LINKE, 2011

Dennoch werfen viele Kritiker der heutigen Partei "DIE LINKE" vor, sich nicht ausreichend mit ihrem Erbe und der Verantwortung der SED für massive Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen auseinanderzusetzen. Teil dieses Vorwurfs beinhaltet die Übernahme des SED-Kapitals durch die PDS, welches im Verlauf der 90er-Jahre jedoch in verschiedenen juristischen Auseinandersetzungen mit der Treuhandanstalt Berlin vollständig legalisiert wurde, wobei die Partei beträchtliche Teile des Vermögens, welche als illegal angeeignet eingeschätzt wurden, abtreten musste.