Wege zur Medienmündigkeit

Heute kann jeder Nachrichten und Meinungen verbreiten. Die sozialen Netzwerke verändern unsere Kommunikation und unser Bild von der Welt. Die neuen technischen Möglichkeiten sind oft eine Überforderung. Bernhard Pörksen wirbt für eine neue Medienmündigkeit.

Der Mauersberger Saal im Haus an der Dresdner Kreuzkirche war gut gefüllt. Landeszentrale für politische Bildung und der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM) hatten zum Diskurs über Neue Medien eingeladen.

Dr. Annette Rehfeld-Staudt, Online-Expertin der Landeszentrale leitete die Veranstaltung mit den Schlagworten „Fake News“ und „Hate-Speech“ ein und kündigte den Gast des Abends an - Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Anschließend ergriff Eva Brackelmann vom Medienrat der SLM das Wort. Sie wünscht sich aufgeklärte Nutzer. In diesem Sinne fördere die SLM medienpädagogische Projekte, einige sollten später noch vorgestellt werden.

Vom Schulessen zur Medientheorie

Nach den Vorworten betritt Professor Pörksen die Bühne. Der mehrfach ausgezeichnete Medienwissenschaftler hat mehrere Bücher zu Debatten- und Medienthemen veröffentlicht, zuletzt „Die große Gereiztheit: Wege aus der kollektiven Erregung“.

Pörksen steigt mit einem Beispiel ein, einer Schülerin, die im Internet von der schlechten Qualität des Schulessens berichtete. Der Bericht erzeugte schnell digitale Wellen, Medien stürzten sich auf das Thema und über die Schule brach ein Sturm an Empörung herein.

Der Professor zog den Vergleich zur Chaos-Theorie: der Schlag eines Schmetterlingsflügels kann nach dieser Theorie am anderen Ende der Welt einen Wirbelsturm auslösen. Im Netz sei das anhand des Beispiels der Schülerin gut nach zu vollziehen. Pörksen spricht von digitalen Schmetterlingseffekten. Ein Nebeneffekt davon sei die Unmöglichkeit einer Zensur. Das Publikum entwickle sich zu einer neuen Macht, seiner Ansicht nach sei das Publikum die neue fünfte Gewalt. Pörksen spricht dabei von einem Agenda Setting von unten.

Tektonische Verschiebungen der Informationsarchitektur

Agenda Setting ist der kommunikationswissenschaftliche Fachbegriff für die Themensetzung in den Medien, die in demokratischen Ländern und freien Medien in der Regel nach Relevanzkriterien funktioniert. Mit der zunehmenden Verbreitung von ungefilterten Nachrichten durch die sozialen Medien erkennt der 50-jährige Professor eine tektonische Verschiebung der Informationsarchitektur. Dafür führt er fünf Thesen an:

  1. Die Digitalisierung führt zu einer erhöhten Beweglichkeit des Nachrichtenmaterials, Informationen sind rund um die Welt verfügbar.
  2. Zunahme der Geschwindigkeit – Informationen sind im Livestream verfügbar. Er verweist auf das Video des Attentäters von Christchurch (Neuseeland).
  3. Neue Medienmanipulationsmöglichkeiten – jeder ist ein potenzieller Akteur, Pörksen spricht von der Effektivierung der Manipulation, gefälschte Fotos, Töne und Videos gibt es massenhaft im Netz.
  4. Neue Verbreitungsdynamiken von Nachrichten, das habe teilweise das Muster von Epidemien.
  5. Neue Sichtbarkeit durch das Sofortsichtbarkeitsinstrument, gemeint ist das Smartphone – Zonen der Unsichtbarkeit verschwinden.

Schule und Anbieter in der Pflicht

Seine Thesen erläutert Pörksen anschaulich mit spannenden Beispielen. Er fordert einen gesellschaftskritischen Bildungsauftrag. Die Bürger müssten zur Medienmündigkeit gebildet werden. Die Gesellschaft solle sich von der digitalen zur redaktionellen entwickeln. Damit meint er, dass die Maxime des guten Journalismus die Grundlage sei. Nach denen sollten sich die Nutzer der sozialen Medien richten.

  • Prüfe erst, publiziere später
  • Analysiere deine Quellen
  • Höre auch die andere Seite
  • Orientiere dich an Relevanzkriterien

Daraus folgend fordert er einerseits ein eigenes Schulfach für Medien- und Medienmachtanalyse und Medienpraxis. Die Schüler sollten sich aktiv mit ihrer Manipulationsfähigkeit auseinandersetzen. Andererseits erwartet er mehr Engagement vom Journalismus, der müsse sich dialogischer und transparenter mit dem Publikum auseinandersetzen und seine Arbeit den Lesern oder Zuschauern erklären. „Handle stets so, dass dein Publikum deine Informationen einschätzen kann“, ruft Pörksen die Journalisten auf.

Auch die großen social-media-Plattformen wie Youtube, Twitter, Facebook oder Whats-App haben eine Verantwortung, denen möchte er gern einen Plattformrat gegenüberstellen, um die Unternehmen zu zwingen transparenter zu werden.

Nach Pörksens Vortrag stellten sich drei von der SLM geförderte Projekte vor, die ganz konkret an Schulen arbeiten. Dazu gehörte das Projekt der KF Education UG: "WIR! -Werte, Identitäten und Regeln im Netz", "#Stayreal" der Yellow Cactus Business Skills GbR und das Projekt "Future Influencer" des Medienzirkus e.V. Nach den Vorträgen bleib noch ein wenig Zeit zur Diskussion.

Autor Jan Frintert führt die Textwerkstatt Dresden.