Warum wählen gehen?

Am 31. August sind Landtagswahlen; nach 1990, 1994, 1999, 2004 und 2009 die sechsten im Freistaat Sachsen. Die Demokratie in Sachsen ist längst volljährig, aber nur etwa jeder zweite Volljährige fühlt sich der Demokratie verpflichtet. Enttäuschend die Wahlbeteiligung vor fünf Jahren: 52,2%! Ein Plädoyer für den Urnengang von Hans-Peter Maier

Geh wählen! Das klingt wie ein Befehl. Wieso das denn? Die Wahlen sind doch unmittelbar, direkt und allgemein, vor allem aber geheim und frei! Wann und ob ich wähle, ist also allein meine Sache und das soll auch so bleiben. Ich verbitte mir also dieses besserwisserische Geh wählen!

Ja, ich weiß. Denen, die damals, 1989, unterwegs waren und für einen Wechsel Verantwortung übernommen haben, der ohne Blutvergießen geschehen sollte, denen haben wir auch zu verdanken, dass es diese Wahlen gibt. Ja, ich weiß. Muss ich denn jetzt wählen gehen, nur weil ein paar irgendwann die Möglichkeit einer Wahl erkämpft haben? Das klingt so ein bisschen, wie: Iss den Teller leer, andernorts verhungern die Kinder.

Wer hat diese Argumente nicht schon irgendwo einmal gehört und ist bis heute eine Gegenrede schuldig geblieben? Und das, obwohl wir gefühlt haben, dass eine immer geringere Wahlbeteiligung zu einer Belanglosigkeit, im schlimmsten Fall gar zu einer Beliebigkeit führen könnte, was den Sinn von Wahlen im allgemeinen betrifft.

Was sagen die Geschichtsbücher? Als 1990 auf dem Boden der gerade beerdigten DDR, Wahlen stattfanden – die ersten freien seit über 60 Jahren – da waren es 94% aller Wahlberechtigten, die zu den Urnen ging. Damals gab es allerdings keine ausgetüftelten Kampagnen, die darauf hinwiesen, dass nun endlich freie und geheime, direkte, unmittelbare und allgemeine Wahlen möglich wären. Damals wussten fast alle Wahlberechtigten, dass sie wählen gehen wollten. Warum?

Anleihe bei den Klassikern?

Schillers Wort, dass die Freiheit, die man besitze, stets eine andere sei, als die, für die man kämpfe“, steht Pate für den Aufruf, gegen die eigene Resignation anzukämpfen, und dafür, sich zu kümmern und nicht locker zu lassen in dem Bemühen, seine Ziele zu verfolgen. Frei sein, heißt nicht, nichts tun. Vielleicht müssen wir schon ein wenig gegen unseren Hang, faul zu sein, vorgehen, ist es doch nur menschlich und nur allzu menschlich, sich nach einem großen Sieg zurückzulehnen und sich einfach nur wohl zu fühlen in der Gewissheit, etwas Großartiges errungen zu haben.

Und dann gibt es noch diesen Goethe, der mit dem Satz zitiert werden kann: „Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen!“ nehmen wir den Satz als einen Hinweis darauf, wie vergänglich die Dinge sind, die man nicht für wichtig erachtet, oder aufgehört hat, zu schätzen. Sie treten in den Hintergrund, geraten langsam in Vergessenheit, werden unwichtig und verschwinden schließlich komplett von der Bildfläche.

Wo wollen wir leben?

Keiner von uns wird behaupten, dass eine Gesellschaft ohne die Möglichkeit, direkt, allgemein, frei, unmittelbar und geheim zu wählen eine erstrebenswerte ist, eine, in der wir leben wollen; genauso wenig wie wir sagen würden, dass wir auf Kreativität, auf Neues, Buntes und auf Abwechslung verzichten wollen. Nein, das würden wir nicht wollen. Warum aber wählen gehen?

Die von uns Gewählten, werden uns regieren! Sie werden Gesetze machen und darauf aufpassen, dass sie eingehalten werden. Wir wollen, dass sie Gesetze machen, die uns gefallen, deren Sinn wir erkennen, mit denen wir leben wollen und können; wir wollen, dass sie eine Verfassung am Leben halten, die uns Grundrechte zusichert und die uns in diesen Grundrechten schützt. Und wir wollen, dass wir dann – durch eben solch ein Gesetz legitimiert – auf die Straße gehen, uns versammeln und demonstrieren können. Wir wollen, dass wir das Recht haben, uns über die Politiker und ihre Arbeit beschweren zu können. Wir wollen vermutlich auch, dass es eine Stelle gibt, die – wieder: gesetzlich legitimiert – über den Umgang mit unseren persönlichen Daten wacht und wir wollen, dass wir frei und überall und jederzeit unsere Meinung sagen können, ohne dass uns irgendjemand den Mund verbietet. Wir wollen frei sein, durch Gewählte, von denen wir glauben, dass sie uns diese Freiheit auch sichern.

Wählen gehen, heißt also, das Recht verteidigen, wählen gehen zu können. Wer nun aber was und wen und warum wählt, das darf jede Bürgerin und jeder Bürger selbst bestimmen, in einer direkten, unmittelbaren, allgemeinen, geheimen und freien Wahl. Wir gehen wählen, dass das so bleibt und freuen uns über jeden, der das genauso sieht und unser aller Freiheit mit verteidigt.

Unser Autor Hans-Peter Maier ist als Referatsleiter im Sächsischen Landtag zuständig für Veranstaltungen, den Besucherdienst und Publikationen.