„Viele Juden haben einfach Angst“

Was kann die Gesellschaft gegen Judenhass unternehmen? Wie sollte die Erinnerungskultur in Zukunft gestaltet werden? Über diese Fragen diskutierten am 22.11.2018 Bürgerinnen und Bürger mit einem hochkarätigem Podium in Chemnitz.

Es waren wieder viele Menschen zur Antisemitismus-Reihe der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung gekommen. Jung und alt, Männer und Frauen, Juden und Nicht-Juden. Sie waren gekommen, um der Podiumsdiskussion mit Vertretern der Politik und Zivilgesellschaft zu lauschen. Der Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Dr. Roland Löffler, moderierte den Abend.

Zu Beginn berichtete Frau Goldenbogen von jüngsten Geschehnissen in Sachsen: Einer der letzten Holocaust-Überlebenden war in Leipzig mit einem Kamerateam unterwegs und musste erleben, wie zwei Männer im Vorbeilaufen unverhohlen den Hitlergruß zeigen. Oder in Löbau, wo eine antisemitische Karikatur in einem Schaufenster eines Ladens in der Innenstadt gezeigt wurde. Diese Fälle seien häufiger geworden. Dr. Löffler fragte, wie die jüdischen Gemeinden mit solchen Taten umgehen. Die Gemeindemitglieder seien verunsichert und einige haben Angst, sich als Juden zu outen.

Frau Köditz zitierte die neuesten Umfragedaten aus dem Sachsenmonitor und mahnte dabei an, dass ein Teil der sächsischen Bevölkerung antisemitischen Aussagen zustimmt. Mit Blick auf den aktuellen Stand antisemitischer Straftaten befürchtet sie, dass das Jahr 2018 ein neues Rekordjahr des kriminellen Judenhasses werden kann.

Auf den muslimischen Antisemitismus angesprochen, verdeutlichte Herr Rashid die Zwiespältigkeit des Phänomens: Einerseits sind judenfeindliche Stereotype, wie die Protokolle der Weisen von Zion, und der Antizionismus, der Hass auf den Staat Israel, weit verbreitet. Andererseits werden Juden in Teilen des Korans anerkannt und akzeptiert.

Dazu sagte Dr. Klein: „Der Kampf gegen den Antisemitismus im muslimischen Milieu, ist nur mit moderaten Muslimen zu gewinnen.“ Man muss in diesem Zuge auch genauer auf Israel und den Nah-Ost-Konflikt eingehen. Dem stimmte Herr Rashid zu, äußert allerdings Skepsis, mit wem wie zusammengearbeitet werden soll: „Judenfeindschaft wird oft vom Imam verbreitet. Wir müssen aufpassen, nicht den Bock zum Gärtner zu machen.“

Wie eine Zusammenarbeit und friedliche Koexistenz gelingen kann, erläuterte Frau Goldenbogen: Als die NPD vor einigen Jahren Demonstrationen vor Moscheen in Dresden abhielt, solidarisierte sich die jüdische Gemeinde mit den Muslimen. Dadurch ist eine Verbundenheit zwischen den Gemeinden gewachsen, die auch dazu beigetragen habe, dass es in Dresden keine Anti-Israel-Demos bezüglich des Gaza-Konflikts gegeben hat.

Mehrheit der antisemitischen Straftaten aus rechtem Milieu

Eine ganz konkrete Bedrohung für Juden besteht weiterhin durch rechten Judenhass. In diesem Kontext hat Frau Goldenbogen ein Ereignis bei Pegida-Kundgebungen stark verstört: Dort gab es zeitweise einen Stand, der Freiheit für Ursula Haverbeck, eine verurteilte Holocaust-Leugnerin, gefordert hat. Frau Goldenbogen selbst hat dies der Stadtverwaltung gemeldet, die zögerlich agierte aber letztendlich Maßnahmen gegen den Stand umsetzte.

Die große Mehrheit der antisemitischen Straftaten in Sachsen werden von Rechten begangen. Allerdings seien diese Daten nicht frei von Verzerrungen, wie Dr. Klein klarstellt: Bei Schmierereien, wie z.B. „Juden raus“, werden diese der Kategorie „rechts“ zugeordnet, obwohl nicht genau fest steht wer dafür verantwortlich ist. Dazu werde Dr. Klein in nächster Zeit auch Gespräche mit dem Bundeskriminalamt führen, um in diesem Bereich präziser zu arbeiten.

In Bezug auf die Ausschreitungen in Chemnitz äußerte er auch Unverständnis über das Geschehene: „Warum wird eine Demo nicht sofort durch die Polizei abgebrochen, wenn der Hitlergruß gezeigt wird?“ Der Angriff auf das Restaurant Schalom wurde zunächst als Sachbeschädigung eingestuft; um so etwas zu vermeiden, sollten Polizisten besser geschult werden, findet der Antisemitismusbeauftragte.

Judenfeindlichkeit habe es auch schon in der DDR gegeben, wie sich Frau Goldenbogen erinnert. Allerdings hat sie das erste Mal Anfang 1990 eine Neonazi-Demonstration auf der Prager Straße miterlebt. Über den zeitgenössischen Judenhass sagt sie: „So offen wie heutzutage Antisemitismus auftritt, stellt eine neue Qualität dar.“

Neue Wege in der Erinnerungskultur

Dr. Löffler fragte das gesamte Podium, was getan werden könne, um eine allzu ritualisierte Erinnerung an die Geschichte zu verhindern. Frau Goldenbogen meinte, dass die Geschichte auf neue Art zurückgeführt werden soll, um künftige Generationen passender anzusprechen. Wichtig sei es, die „stillen“ Namen wieder in den Vordergrund zu rücken, findet Dr. Klein. Er illustrierte dies an dem Polizeibeamten Wilhelm Krützfeld: Dieser hat mit anderen Polizisten zusammen während der Reichspogromnacht die Zerstörung der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin verhindert. Solche einzelnen Geschichten aufleben zu lassen ist sehr wichtig.

Ähnlich sieht es Frau Köditz: Sie wünscht sich eine Emanzipation der Erinnerung von fixen Gedenktagen, hin zu einer veränderten Betrachtungsweise. So wurde erst kürzlich das Anne-Frank-Haus in Amsterdam nach Umbauarbeiten wieder eröffnet, um den Bedürfnissen und Wissenslücken mancher Besucher gerecht zu werden. Laut Herrn Burghart braucht es eine intensive Auseinandersetzung mit Antisemitismus und das Engagement der Zivilgesellschaft.

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde die Bedeutung von Kultur und Bildung als Mittel gegen Hass hervorgehoben. Insbesondere nach den Ausschreitungen im Sommer in Chemnitz haben viele Bürger Flagge gezeigt. Allerdings wurden in den Abendnachrichten oftmals nur die Rechtsradikalen erwähnt, was den Bildungsbürgermeister sehr enttäuscht hat. Die demokratische Mehrheit sollte in den Medien sichtbarer gemacht werden, findet Frau Goldenbogen.

Bezogen auf Äußerungen von AfD-Politikern über die Erinnerungskultur, mahnte Dr. Klein: „Eine solche „Schlussstrich-Debatte“ ist hoch gefährlich.“ Auch kann man aus der Vergangenheit lernen: „Die Integration von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ist eine Erfolgsgeschichte, an die wir heutzutage öfter denken sollten.“

Zu guter Letzt kam es quasi zur direkten Erfüllung einer Forderung: Angesprochen auf die Antisemitismusbeauftragen in den Bundesländern, regte Dr. Klein die Schaffung eines sächsischen Beauftragten an. Prompt sagte Frau Köditz, dass dieses Thema vor kurzem im Landtag debattiert wurde und sich die Staatsregierung entschlossen hat, einen solchen Posten zu schaffen. Wenn sich doch nur alle Wünsche so schnell erfüllen würden.