Versöhnung durch Aufarbeitung? Der Umgang mit geheimpolizeilichen Akten im internationalen Vergleich

Am 20. September fand in der Unterkirche der Frauenkirche eine Podiumsdiskussion statt. Thema war die Aufarbeitung diktatorischer Unterdrückungsmaßnahmen. Dabei berichteten drei Referenten über die Situation in Chile, der Ukraine und Südafrika. Ungefähr 50 Menschen waren gekommen, um zu hören, was aus den drei Erdteilen berichtet wird.

Pfarrer Sebastian Feydt begrüßte die Zuhörer mit den Worten, dass die Frauenkirche ein deutliches Zeichen für Versöhnung sei und daher der richtige Rahmen für die Veranstaltung. Dr. Roland Löffler, der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, erläuterte in seinem Grußwort, dass ohne historische Bildung auch keine politische Bildung möglich sei. Und zur historischen Bildung gehöre immer auch die Quellenanalyse. Quellen, das können Akten sein oder auch Zeitzeugen, die aus mehreren Meinungen ein Gesamtbild über die Vergangenheit ergeben.

Anschließend stellte der MDR-Moderator Wolfgang Brinkschulte die Gäste der Podiumsrunde vor. Frau Dr. Patricia Cerda arbeitete an der Freien Universität Berlin. Ihr Forschungsbereich ist die illegale Migration nach Deutschland. Heute ist sie Schriftstellerin. Sie selbst ist während der Zeit der Pinochet-Diktatur aus Chile nach Deutschland emigriert. Neben ihr nahm der Wissenschaftler Dr. Andriy Kohut Platz, er ist der Direktor des staatlichen Ressortarchivs des Sicherheitsdienstes der Ukraine. Dritter in der Rund war Dr. Joachim Braun, ehemaliger ZDF-Südafrika-Korrespondent und Herausgeber des Bandes „Versöhnung braucht Wahrheit“.

Zu Beginn berichtete Patricia Cerda aus der Zeit in Chile. „Es war gefährlich sich zu treffen, es gab eine verfälschte Geschichte – Chile war ein Land ohne kulturelles Leben, ohne Schriftsteller.“ Demonstrieren war verboten, berichtet sie. Wenn man sich dem widersetzte drohte Gefängnis, Folter und Vergewaltigung. Als sie 1986 Chile verließ, dachte sie, es wäre ein Abschied für immer.

Andriy Kohut berichtete über die aktuelle Lage in der Ukraine. „Wir befinden uns im Krieg gegen Russland“, sagt er und schiebt nach, „wenn wir den Krieg verlieren, verlieren wir die Demokratie.“ Der Krieg sei auch ein Desinformationskrieg. Umso wichtiger sei die Öffnung der Archive. „Immer mehr Leute kommen zu uns, um nachzuforschen, auch junge Leute sind interessiert und auf der Suche nach der Wahrheit“, sagte Andriy Kohut. „Sie wollen wissen, wer waren die Agenten, was haben sie berichtet.“ An vorderster Stelle stünden Nachforschungen zu Familie, Eltern, Großeltern. Seit April 2015, so Kohut, gäbe es den offenen Zugang zu den Archiven in der Ukraine. Die Öffnung sei auch als Gegenmaßnahme zu den Fake-News aus Russland zu verstehen. Inzwischen seien auch Akten zugänglich, die noch zu Zeiten des Präsidenten Wiktor Janukowytsch geheim gehalten wurden.

Joachim Braun berichtete aus Südafrika. Als im Jahre 1990 dort die Apartheid abgeschafft wurde, ging eine Epoche der Unterdrückung zu Ende. Noch in den 1980er Jahren gab es Todesschwadronen. Um einen friedlichen und halbwegs gerechten Übergang zur neuen Gesellschaft zu erreichen, wurde damals eine Wahrheitskommission eingeführt. „Das Konzept war, dass die Opfer eine Chance haben, zu vergeben“, sagte Braun. Die Täter seien dann zwar juristisch belangt worden, aber wenn sie vor der Wahrheitskommission aussagten, stand am Ende die Amnestie. „Das hat fabelhaft funktioniert, die Kommission war sehr gut ausgestattet“, schätzte Braun jetzt ein. Versöhnung brauche nicht nur Zeit, sie braucht auch Wahrheit. Das Wunder des friedlichen Übergangs hänge aber auch wesentlich mit Nelson Mandela und Desmond Tutu zusammen.

Moderator Brinkschulte leitete wieder zur Chilenin Patricia Cerda über. Die berichtete von stasi-ähnlichen Strukturen, große Teile der Opposition befanden sich währende des Pinochet-Regimes im Gefängnis oder im Ausland. Leute verschwanden einfach so. Zwar gab es 1978 eine große Amnestie, aber im gleichen Zuge wurden auch viele Akten vernichtet, das macht heute die Aufarbeitung schwierig. Seit dem Jahr 2000 gibt es eine Kommission, die die Geschichte aufarbeiten soll. Die Zahl der Vermissten geht in die Zehntausende, bekannt sind mehr als 35.000 Fälle von Folter. „Chile ist immer noch ein gespaltenes Land“, sagte Cerda. Niemand würde über Versöhnung reden.

Andriy Kohut berichtete, dass es in der Ukraine ein neues Gesetz gibt und eine Kommission für die Rehabilitierung der Opfer des Kommunismus eingesetzt werden soll. Die Ergebnisse seien bislang bescheiden, zwar dürfen bestimmte Täter nicht mehr in die Regierung gewählt werden, aber eine gerichtliche Aufarbeitung habe noch nicht stattgefunden. Problem sei auch, dass viele der Täter gar nicht mehr am Leben seien.