Polnisches Maifest erinnert an erste Verfassung Europas

Etwa 120 Besucher kamen am 3. Mai 2018 ins Bautzener Steinhaus zur „Majówka“, dem deutsch-polnischen Maifest. Die Ausländerbeauftragte lud in Zusammenarbeit mit den Partnern vom Polnischen Institut Berlin (Standort Leipzig), der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Sachsen e.V. ein.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens wurden die Gäste vom Streichquartett „Chordophone“ auf eine außergewöhnliche musikalische Reise des polnischen Komponisten Henryk Mikołaj Górecki mitgenommen. Ein Tänzer in Góralen-Tracht begleitete schwungvoll das temperamentvolle Stück „Quasi una Fantasia“ op 64 .

Erste fortschrittliche Verfassung kam aus Polen

Nach dieser musikalisch-tänzerischen Darbietung folgte der Vortrag von Prof. Stefan Garsztecki, Professor für Kultur- und Länderstudien an der Technischen Universität Chemnitz, mit dem Titel „Die polnische Verfassung vom 3.Mai 1791 und ihre Bedeutung für Europa“. Am 03.05.1791 wurde durch das Sejm (Parlament des polnisch-litauischen Doppelstaates.) eine sehr fortschrittliche Verfassung verabschiedet. Übrigens die erste ihrer Art in Europa. Leider wurde „Rzeczpospolita Polska Obojga Narodów“ im Jahr 1795 unter den großen Mächten Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt und verschwand für 123 Jahre aus der Landkarte Europas. Dennoch wurden viele ihrer Ideen weitergetragen, vor allem im Bereich der Bildung.

Wir haben mit Prof. Dr. Garsztecki ein ausführliches Interview zu den Besonderheiten dieser Verfassung geführt.

SLpB: Die Polen begehen am 3. Mai den „Tag der Verfassung“. Damit ist nicht die gegenwärtige Verfassung, sondern jene vom 3. Mai 1791 gemeint. Was macht diese Verfassung so besonders, dass ihr noch heute gedacht wird?

Prof. Dr. Garsztecki: Die polnische Mai-Verfassung ist die erste schriftliche Verfassung in Europa und sie ist Ergebnis sowohl des von 1788-1792 tagenden vierjährigen Sejm und der polnischen Aufklärungs- und Reformdebatte des 19. Jahrhunderts. Im Ergebnis etabliert sie eine konstitutionelle Erbmonarchie, schafft überholte Relikte der Vergangenheit wie das liberum veto, das absolute und blockierende Einspruchsrecht des Adligen in parlamentarischen Versammlungen, ab und beteiligt vermögende Bürger an der politischen Willensbildung. Die Verfassung ist seit 1990 wieder offizieller Staatsfeiertag und steht für den Selbstbehauptungswillen Polens gegen ausländische Mächte. Vergessen wir nicht, dass als Folge der Mai-Verfassung, die nur 14 Monate in Kraft war, die zweite und dritte Teilung der Republik der beiden Nationen Polen für mehr als 120 Jahre seine Unabhängigkeit verlor und von der politischen Landkarte Europas verschwand.

SLpB: Wie ist die Verfassung zustande gekommen? Die politischen Machtverhältnisse waren zu dieser Zeit doch ganz anders als heute?

Prof. Dr. Garsztecki: Die Verfassung war ein Kompromiss des sogenannten patriotischen Lagers im vierjährigen Sejm mit dem polnischen König Stanisław August Poniatowski und war vor allem gegen die polnischen Magnaten, den polnischen Hochadel, gerichtet. Die Verfassung sollte über die von ihr festgelegten Reformen innenpolitische Regierbarkeit und außenpolitische Souveränität herstellen. Möglich wurde sie auch aufgrund einer vermeintlich günstigen außenpolitischen Situation, da das zaristische Russland unter Katharina II. von 1787-1792 im Krieg mit dem Osmanischen Reich und von 1788-1790 im Krieg mit Schweden stand.

SLpB: Welche Folgen hatte die Maiverfassung außerhalb von Polen? Kommt ihr europaweite Bedeutung zu?

Prof. Dr. Garsztecki: Die Mai-Verfassung stellt den ersten Versuch dar, das Denken der Aufklärung auch in ein aufgeklärteres und konstitutionell gefasstes Regierungssystem zu gießen. Die Ideen der Verfassung und das Streben nach Freiheit wurden im 19. Jahrhundert oft mit Polen verbunden und fand Anklang in nationalen Freiheitsbewegungen in anderen europäischen Ländern, die sich wie die deutsche Nationalbewegung gegen autokratische Herrschaft und für eine konstitutionelle Monarchie aussprachen.

SLpB: Woran ist die Verfassung gescheitert? Lag es an inneren, auch verfassungsrechtlichen Problemen oder doch mehr an der Außenwirkung – Stichwort „Polnische Teilung“?

Prof. Dr. Garsztecki: Auch wenn die Verfassung unter zu kritisierenden Bedingungen zustande kam – von über 500 Abgeordneten des Sejm waren nur 182 bei Verabschiedung der Verfassung tatsächlich anwesend - , scheiterte sie letztlich am Widerstand der Magnaten, die hierin Unterstützung von Seiten Russlands fand. Die sogenannte Konföderation von Targowica, ein Zusammenschluss von polnischen Magnaten unter dem Patronat von Katharina II., sprach sich für eine Annullierung der Mai-Verfassung und der Reformen des vierjährigen Sejm aus. Preußen, das 1990 mit der Polnischen Adelsrepublik einen Bündnisvertrag abgeschlossen hatte, war ab 1792 mit Österreich im Ersten Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich gebunden und akzeptierte letztlich das russische Vorgehen. Der kurze polnisch-russische Krieg von 1792 endete mit einer polnischen Niederlage und führte zur zweiten Teilung der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Der Sejm von Grodno 1793 hob dann alle Beschlüsse des vierjährigen Sejm und damit auch die Mai-Verfassung auf. Der Kościuszko-Aufstand von 1794 war ein letzter Versuch, die Mai-Verfassung und die Unabhängigkeit und die territoriale Integrität des Landes zu verteidigen. Nach seiner Niederschlagung verschwand Polen mit der dritten Teilung von 1795 bis 1918 von der europäischen Landkarte.

SLpB: Welche Rolle spielte die Maiverfassung für die weitere polnische Geschichte? Ist sie eine Art „demokratisches Leitbild“ der Polen?

Prof. Dr. Garsztecki: Die Mai-Verfassung ist mit zwei politischen Traditionen Polens verknüpft, die bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reichen. Das eine ist die Aufstandstradition. Im Jahr 1794, 1830/31 und 1863/64 erhoben sich Polen gegen die autokratische russische Herrschaft und kämpften für die Unabhängigkeit des Landes. Auch der Warschauer Aufstand von 1944 gegen die deutsche Besatzungsherrschaft in Polen oder Arbeiterproteste gegen die herrschenden polnischen Kommunisten von 1956, 1970, 1976 und 1980 lassen sich in diese Tradition fügen. Die andere Tradition steht für den Reformgeist unter den politischen Eliten des Landes, so wie er in der Nationalen Erziehungskommission (Komisja Edukacji Narodowej) von 1773-1794 seinen Niederschlag fand. Mit Arbeit an den Grundlagen der Gesellschaft, mit Bildungsreformen, ökonomischen Modernisierungsplänen und Vorstellungen zu sozialen Reformen setzten sich polnische Eliten und Intellektuelle wie Stanisław Konarski (1700-1773), Hugo Kołłątaj (1750-1812) oder Stanisław Staszic (1755-1826) zu Zeiten der Teilungen der Republik auseinander, Fragen, die auch von Vertretern der Gewerkschaft Solidarność wie Adam Michnik, Jacek Kuroń oder Bronisław Geremek zu sozialistischen Zeiten behandelt wurden.

SLpB: Hat die Maiverfassung konkrete Einflüsse auf die heutige polnische Verfassung? Wie geht die Politik mit dem Erbe um?

Prof. Dr. Garsztecki: Die Mai-Verfassung ist Anlass für Stolz auf die Vergangenheit und ist eine wichtige Bezugsquelle für das heutige Polen, um den polnischen Beitrag zur europäischen Verfassungs- und Freiheitsgeschichte zu unterstreichen. Einen direkten Einfluss auf die aktuelle Verfassung von 1997 hat die Mai-Verfassung allerdings nicht.

Gemeinsame Internetseite wirbt touristisch

Die Folkloregruppe Rozmaryn aus Bogatynia begeisterte anschließend mit klangvollem Gesang und polnischen kulinarischen Spezialitäten. Die Besucher erfuhren auch etwas über die touristischen Attraktionen der Landkreise Bolesławiec und Bunzlau. Die gemeinsame Internetseite www.b-tourist.eu wurde auf der großen Leinwand gezeigt und Interessierte konnten sich den dreisprachigen Reiseführer mit nach Hause nehmen.

Zum Schluss wurden polnische und deutsche Lieder in muskalischer Begleitung der Familie Malinowski dargeboten.

Die nächste deutsch-polnische Begegnung dieser Art findet im Steinhaus Bautzen vom 09. -11.11.2018 statt. Die Erlangung der Unabhängigkeit Polens am 11.11.1918 wird in Bautzen u.a. unter Beteiligung der polnischen Partnerlandkreise Boleslawiec und Zlotoryja drei Tage lang gefeiert. Bis Ende des Jahres finden auch zahlreiche weitere Veranstaltungen statt, welche im Rahmen des Projektes „1000 Jahre Frieden von Bautzen“ organisiert werden.