Politische Bildung nur für politisch Gebildete?

Immer mehr Landeszentralen reagieren auf Politikverdruss und erstarkenden Populismus mit bürgernäheren, aufsuchenden Konzepten.

Kassel/Dresden/Magdeburg, 26. April 2016. Angesichts von Politikverdruss und eines erstarkenden Rechtspopulismus in Deutschland entwickeln immer mehr Landeszentralen für politische Bildung neue Veranstaltungsformate, um schneller auf aktuelle gesellschaftliche Probleme reagieren zu können – und um überhaupt noch ihre eigentlichen Zielgruppen zu erreichen. Die Kernidee: Die politischen Bildungsarbeiter gehen zum Bürger, statt zu warten, dass der Bürger zu ihnen kommt. Auf einer Populismustagung in Kassel haben mehrere Landeszentralen solche „aufsuchenden“ Projekte vorgestellt.

Das wachsende Problem dahinter hatte vor einiger Zeit ein Landeszentralen-Direktor in Baden-Württemberg etwa so umschrieben: Die Landeszentralen erreichen mit ihren Angeboten eigentlich nur noch die Menschen, die ohnehin schon politisch gebildet und interessiert sind. Studenten beispielsweise nutzen seit jeher gern die kostenlose Sachbuch-Ausgabe. Arrivierte Akademiker besuchen gern die Vorträge und Tagungen der Landeszentralen. Aber was wird aus dem wachsenden Heer der Nichtwähler? Aus denen, die lieber bei Pegida mitspazieren oder der AfD ihre Stimme geben, um zu zeigen: Dieses politische System verstehen wir nicht, wollen wir nicht?!

Landeszentrale Sachsen-Anhalt sieht in Vereinen Schnittstelle zum Nichtwähler

Eine aufwendige Meinungsanalyse unter den Nichtwählern des Landes gab beispielsweise in Sachsen-Anhalt den letzten Ausschlag für die Landeszentrale in Magdeburg, neue, vereins-orientierte Wege der politischen Bildung auszuprobieren: „Gefragt sind Veranstaltungen auf Augenhöhe mit den Menschen, um schnell auch vor Ort auf deren aktuelle Probleme reagieren zu können“, erzählt Landeszentralen-Direktor Maik Reichel über einige Konsequenzen aus der Umfrage. Die Nichtwähler bewege offensichtlich oft das ganz nahe Problem: die neuen Straßenbeiträge zum Beispiel, die er zahlen soll, der kaputte Gehweg vor der Haustür, die fehlende Bus-Verbindung. Daher kooperiere die Landeszentrale nun mit den Institutionen, in denen sich ihre Kernzielgruppe wirklich noch bewegt und ihre Probleme noch offen ausspricht: Örtliche Feuerwehr-, Senioren oder Kegel-Vereine zum Beispiel werden zu Plattformen, auf denen die Landeszentrale Bürger und Bürgermeister oder Landrat zusammen diskutieren lässt.

Sachsen wollen Streit über Asylheime vor Ort entschärfen

Im benachbarten Sachsen exerziert die Landeszentrale unter Frank Richter mit dem Projekt „Kommunen im Dialog“ (KiD) bereits seit einiger Zeit vor, wie „aufsuchende“ politische Sozial- und Bildungsarbeit praktisch funktionieren kann: Wenn sich die Fronten in einem sächsischen Dorf oder einer Kleinstadt etwa im Streit um eine geplante Flüchtlingsunterkunft völlig verhärtet haben und die örtlichen Protagonisten ausdrücklich um Hilfe bitten, schickt Frank Richter seine KiD-Moderatoren los. Die sollen dann so lange zwischen Bürger und Politik vermitteln, bis Kompromisse wieder eine Chance haben.

NRW setzt auf Quartier-Arbeit

In Nordrhein-Westfalen setzt die Landeszentrale auf ein etwas anderes Konzept, das aber in eine ähnliche Richtung zielt: Direktorin Maria Springenberg-Eich will die politische Bildungsarbeit vor allem in ausgewählte Brennpunkt-Quartiere tragen, wo viele Arbeitslose oder Menschen mit Abstiegsängsten wohnen. Sie sehe da „eindeutige Korrelationen“ mit der Bereitschaft der Bürger, für rechtspopulistische Parteien wie die AfD zu stimmen. „Und dieser Rechtspopulismus ist für uns ein Ausdruck für eine Krise unserer Gesellschaft und unseres politischen Systems“, sagte sie auf der Populismus-Tagung in Kassel. Ähnlich hatte sich auch ihr Kollege Frank Richter aus Sachsen geäußert, der von einer „tiefen Demokratiekrise“ in Ostdeutschland sprach.

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