Overgames. Ein Film von Lutz Dammbeck

Am 22. April präsentiert die Landeszentrale den Film "Overgames" von Lutz Dammbeck. Der Dokumentarfilm umkreist drei Fragestellungen, die auf den ersten Blick nur schlecht zueinander passen: Welche Rolle nehmen Spiele in der Psychiatrie ein? Gibt es einen Zusammenhang mit den Vorstellungen der USA für die kollektive Umerziehung der Westdeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg? Wie entwickelte sich die Idee einer permanenten Revolution von Vernunft und Wissen, die die Utopie von Gleichheit und Freiheit in die Welt tragen soll? Schwierige Themen und ein Film, der eine Herausforderung ist.

2005, Hans-Joachim Fuchsberger in einer Talkrunde bei Anne Will. Fuchsberger spricht über seine 60er-Jahre Paar-Sendung „Nur nicht nervös werden“, die deutsche Version der amerikanischen Gameshow „Beat the Clock“, und eröffnet seinen Gesprächspartnern: Die Spiele stammten aus der amerikanischen Psychiatrie. Wer Fuchsbergers Sendung gesehen hat? Eine ganze verrückte, eine gestörte Nation. Lachen. Ein Interview - ein Aufhänger und Anstoß für den Künstler und Filmemacher Lutz Dammbeck.

Ein Film für den geduldigen Zuschauer

„Essay-Dokumentation“, „film-assoziativ“,  „mäandern“, „enzyklopädischer Film“, das sind Begriffe, mit denen Kritiker Dammbecks zweieinhalbstündige Spurensuche charakterisieren. Will heißen: Overgames ist kein Film, der zielgenau Antworten sucht und findet, der gerade Handlungsstränge verfolgt oder den Zuschauer an die Hand nimmt. Overgames möchte Zeit und einen freien Kopf, die Bereitschaft, sich auf Gedankenspiele einzulassen, den Filmemacher auch zu Terminen mit fragwürdigem Informationsgewinn zu begleiten, zuzuhören, sich überraschen zu lassen, nachzudenken und auch Längen zu ertragen.

Um es vorweg zu nehmen: Die Frage, ob es wirklich stimmt, dass Spiele für Patienten in der Psychiatrie auch in Gameshows ihren Platz hatten, ja, ob mit Fernsehen und Spielshows  paranoide Nachkriegs-Westdeutsche umerzogen werden sollten, kann der Film, können die eigentlichen Experten, nicht beantworten. Aber die Recherchen, die Dammbeck anstellt, seine Interviews mit amerikanischen Gameshow-Spezialisten und die Verwebungen der Spiele- und der Umerziehungsfäden mit der Geschichte einer unaufhörlichen Revolution eröffnen Einsichten in kaum bekannte Nischen der Geschichte.

Westdeutschland als Großlabor für die Neuformung der Welt

In kleinen Häppchen, über den Film verteilt, skizziert Dammbeck die Geschichte der Idee eines liberalen und aufgeklärten Staatswesens, einer Revolution als wissenschaftliches Experiment mit dem Ziel einer Weltgesellschaft der Gleichen. Es beginnt mit der Aufklärung, findet in der Gründung der Vereinigten Staaten ein Beispiel und endet mit dem Credo Amerikas, die Welt zum American Way of Life zu bekehren. Markt und Revolution sind danach untrennbar verbunden, die Massenmedien transportieren eine allen Menschen verständliche Sprache, die Ursache für eine zerstrittene Welt, nämlich die Sprachverwirrung nach dem Turmbau zu Babel, wird überwunden. Westdeutschland, das kann der Zuschauer nachvollziehen, wenn er Dammbecks Einblicken in die amerikanische Psychologie, Soziologie und Anthropologie der ersten Hälfte des 20sten Jahrhunderts folgt, sollte als Großlabor fungieren für die Um- und Neuformung der Welt.

Re-Education zur Heilung eines paranoiden Volkes?

Zwei Namen treten immer wieder in den Vordergrund: Margaret Mead und Richard Brickner. Die 1901 geborene Ethnologin Margaret Mead vertrat die These, Sozialverhalten sei durch Umgebung und gesellschaftliche  Normen geprägt und damit veränderbar. Richard Brickner erregte 1943 mit dem Buch „Is Germany Incurable?“ die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums. Die Taten des nationalsozialistischen Deutschlands waren laut Brickner der Ausdruck eines psychiatrischen Krankheitsbildes, einer in der Kultur verankerten Paranoia. Das Gefühl des Versagens werde durch Aggressivität kompensiert. Später im Film kommen das schon nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende Interesse am Potential von Kulturexport als Bruder von Handel und Politik im amerikanischen Außenministerium ins Spiel. Bereits 1941, so Dammbeck, seien in Washington Planungen für ein Nachkriegsdeutschland und für eine neue Weltordnung angestoßen worden. Nicht zuletzt angeregt durch Wissenschaftler um Brickner und Mead entwickelten sich danach Gedanken zu einer Umerziehung der Deutschen. Re-Education also als Heilmethode?

Spiele zur Einübung von Verhaltensmustern

Hineingestrickt in die Bruchstücke von Psychologie und permanenter Revolution, totalitären Versuchungen auch der amerikanische Gesellschaft und Problemen mit einer heterogenen von Immigration geprägten Gesellschaft finden sich im Film die Spiele wieder, Gameshows und Spieltheorien. Spiele als Mittel der Psychiatrie, Verhaltensmuster und Rollen einzuüben und zu festigen, Verspannungen zu lösen und die Therapiesituation zu vergessen. Spielshows als Muster für eine Gesellschaftsordnung, in der klare Regeln gelten, die von allen verstanden werden und in der jeder die Gelegenheit bekommt, mitzuspielen.

Was nun anfangen mit Dammbecks Anstößen und angerissenen Theorien, mit Interviews und Gameshow-Beispielen? Mit Teilen, die zu unterschiedlichen Puzzeln gehören, mit zwar dokumentierten, doch selten hinterfragten Aussagen? Am Ende seines Films fügt der Autor die Stücke irgendwie zusammen, aber übrig bleiben mehr Fragen als Antworten.

Offene Fragen sind Aufforderung zur Diskussion

Sollte wirklich, wie Dammbeck es vorführt, ein Keil zwischen die Generationen gedrängt werden, sollte das Vaterbild diskreditiert und dann ersetzt werden, waren die Revolten der 68er Ergebnis einer amerikanischen Strategie? In welchem Maß tatsächlich ist die wirtschaftliche und kulturelle westdeutsche Nachkriegsentwicklung Produkt des großen Plans, den Verlierern die amerikanischen Werte von Freiheit und Wohlstand einzupflanzen? Kranke Deutsche, die nach erfolgter Genesung Amerikas Partner in einer neuen Weltordnung werden? Einem irritierten Gefühl am Ende zum Trotz: Overgames ist ein Film, über den man diskutieren muss.

Die SLpB präsentiert "'Overgames' - oder: Die Umerziehung der Westdeutschen" am 22. April 2016 ab 18:30 Uhr im Dresdner Programmkino Ost. Nach dem Film diskutieren Dr. Helmut Kohlenberger (Philosoph, Autor, Übersetzer), Dr. Hans-Joachim Maaz (Psychiater, Psychoanalytiker, Autor), Lutz Dammbeck und Frank Richter (Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung). Moderation: Tim Deisinger.