Es reicht! (und zwar nicht erst seit vorgestern!)

Oft versucht die Sächsische Landeszentrale zu vermitteln, ein neutraler Anwalt des Prozesses zu sein. Doch wie schlagen die Geschehnisse aus Clausnitz und Bautzen auf einer persönlicher Ebene auf? Was geht in einem vor, wenn man stetig liest, aufnimmt und verarbeitet aber professionell neutral bleiben muss? Sabine Kirst, Referentin der Sächsischen Landeszentrale über das Ertragen, das Aushalten und die Demokratie in Sachsen.

Das Gegröle und Geschreie, die Spaziergänge, die dummdreisten Phrasen, die Hetze und das unreflektierte Nachgequatsche rechter bzw. linker Parolen. Das Gejammer auf hohem Niveau. Dieses ständige Mimimimimimimi. Dieses „die kriegen alles, wir nichts…“. Habt ihr nicht, was ihr braucht?

Frieden. Relativen Wohlstand. Wasser- und Gesundheitsversorgung. Schulen, Ausbildungsstätten, Feuerwehr und Polizei. Unabhängige Gerichte. Freie Kunst und Wissenschaft. Die Möglichkeit, bei Krankheit zum Arzt zu gehen und bei Gesundheit in den Urlaub zu fahren. Freie Berufswahl. Das Recht, Hilfen in Anspruch zu nehmen. Das Wissen darum, unbeschadet einer Religion angehören und diesen Glauben leben zu können. Keine Angst haben zu müssen wegen des eigenen Glaubens, ethnischer Herkunft, sozialem Hintergrund, der eigenen sexuellen Identität und Orientierung oder politischen Auffassung weder Folter oder gar Mord befürchten zu müssen?

Frage ich euch in den diversen Foren und sozialen Netzwerken, was ihr wollt, dann lese ich unter anderem:

  • Keine Muslime in Deutschland;
  • Keine Terroristen;
  • Ordnung und Sicherheit;
  • Christliche Werte bewahren.

Ich lese auch:

  • Merkel muss weg.
  • Europa trägt Schuld.

Ich lese. Ich lese sehr, sehr viel in diesen Tagen. Lesen bildet nicht immer. Lesen regt mich in diesen Tagen sehr auf. Und ich lese von „Volksverrat“, „Lügenpresse“ und „Gutmenschen“; von „Asylbetrügern“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“, von der „BRD-GmbH“ und dem „Pack“, von „Vollidioten“ und von Städten, Gemeinden und Kommunen, die „zeigen, wie es geht“.

Wie was geht? - Ist es jetzt also gängig und adäquat, Häuser in Brand zu setzen, Reisebusse einzukeilen, Menschen, die mit weniger als Nichts in Deutschland angekommen sind und hier eine einfache, menschlich nachvollziehbare Bitte äußern, zu beschimpfen, anzuschreien, zu bedrohen?

Sprache ist eine Waffe. Rüstet ab! Ich bitte euch. Rüstet ab! Und lernt. Lernt das Zuhören.

Ihr schwadroniert von Islamisierung, Integration und Sanktionen gegenüber all denen, die sich eben nicht integrieren. Ihr redet vom Bewahren der deutschen Kultur, der deutschen Tugenden und all der Dinge, die Deutschland zu einem großartigen Land machen. (Ja, Deutschland ist ein großartiges Land. Nicht alles läuft rund und es gibt sehr, sehr viel zu tun. Aber statt anzupacken… wird gestritten. Streit ist gut. Wenn er nicht allzu lang dauert. Wenn er fair verläuft. Wenn jeder gleichberechtigt vortragen und widersprechen kann.)

Ihr wollt keine Muslime. Ihr wollt auch keine Integration. Ihr wollt, dass sich Menschen euren Vorstellungen von „guten, aufrechten Deutschen“ unterwerfen. Dass sie sich assimilieren. Ihre Herkunft verleugnen. Ihr wollt keine Integration. Nein, weder die der Menschen, die um Asyl bitten. Noch wollt ihr eure Eigene.

Ich will euch nicht… ertragen. Das Entscheidende aber ist: ich muss euch ertragen. Aber: ich kann euch ertragen. Mögen muss ich Euch deshalb aber nicht.

Ich will euch sagen: ich kann sehen, woher euer Ärger kommt. Es läuft nicht alles rund in Deutschland. Und manche, vielleicht sogar viele Politiker verstehen es nicht. Verstehen euch nicht. Verstehen nicht, dass eure gefühlte Belastungsgrenze überschritten ist. Verstehen nicht, dass ihr sie nicht versteht. Dass ihr nicht versteht und auch nicht verstehen könnt, was sie da tun. In Brüssel. In Berlin. In den Land- und Kreistagen. Und vor allen Dingen auch nicht verstehen könnt (oder wollt), warum sie tun, was sie tun. Oder eben auch nicht tun.

Ihr seid nicht dumm. Nur… hysterisch und besorgt und ihr fühlt euch nicht wohl. Kann ich verstehen. Das ändert aber nichts daran, dass die Menschen nun einmal hier sind. Nicht alle werden bleiben können. Nicht alle werden bleiben wollen. Und es ändert auch nichts daran, dass es gilt, menschlich zu bleiben. Ihr seid unzufrieden. Und wütend. Aber Eure Wut und Unzufriedenheit läuft aus den Bahnen und sie gilt zudem auch noch den Falschen.

Ich könnte jedes Mal schreien und vor Wut platzen, wenn die Bautzens, Dresdens, Clausnitzes, Meißens und Heidenaus passieren. Ihr seid nicht Sachsen. Ihr seid nicht ich. Und wegen euch muss ich mich vor meinen Freunden rechtfertigen und es ertragen, dass sie lieber nicht nach Sachsen kommen wollen. Denn ihre Haut hat eine andere Farbe, ihre Muttersprache ist nicht die deutsche und ihr kultureller Hintergrund ist ein anderer. Für euch eine Bedrohung. Für mich ein Zeichen der Vielfalt und Bereicherung.

Nicht die Asylsuchenden tragen Schuld an eurer Unzufriedenheit. Richtet euren Protest an die, die ihn spüren müssen. Wenn das deutsche Kultur ist, dann will ich sie nicht. Wenn das die „deutschen Tugenden“ sind, dann bin ich froh, dass meine Erziehung anders war. Dass meine Eltern mir andere Werte vermittelt haben.

Werte und Respekt.
„Aber die respektieren uns nicht…“
Würde ich an „deren“ Stelle auch nicht.
„Aber die respektieren die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nicht…
Alle? Und ich meine wirklich, meint ihr *alle* Geflohenen, die zu uns kommen?
„Und dann Köln…“
Und das gibt euch das Recht, zu beleidigen und zu drohen? Asylunterkünfte anzuzünden?

Zur Erinnerung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wer gegen diesen Grundsatz verstößt, muss die Konsequenzen tragen. Aber nicht ihr seid in der Position, diese Konsequenzen auszusprechen oder anzuordnen. Dafür gibt es andere, geeignete, unabhängige und vor allen Dingen dafür zuständige Stellen. Die nach Würdigung aller Fakten und Beweise ein gerechtes Urteil finden. Gerecht im Sinne des Gesetzes und gegenüber dem Gesetz, das für uns alle gilt. Also für mich. Meinen Nachbarn. Meine Freunde und Kollegen. Und auch für euch.

Da steht ihr und hier stehe ich.
Ihr klatscht hämisch und lacht schadenfroh, wenn die Unterkünfte brennen.
Wie entwürdigend. Für euch.
Denn ihr entwürdigt euch selbst!
Wie gesagt, ich mag Euch nicht. Und ich will Euch nicht ertragen.
Aber ich kann.
Und ich werde!