Es geht nicht um Schuld. Es geht um Verantwortung!

Das größte Problem der Einheitsfeierlichkeiten in Dresden waren nicht die Entscheidungen der Polizeibehörden, sondern, dass Grundwerte dieser Gesellschaft wie Höflichkeit, Respekt und Anstand komplett verwahrlost in allen gesellschaftlichen Schichten und Berufsgruppen in Erscheinung getreten sind. Andreas Tietze, Projektmitarbeiter und Moderator im Projekt Kommune im Dialog über den Tag der Deutschen Einheit 2016.

Das größte Problem der Einheitsfeierlichkeiten im Jahr 2016 in Dresden waren nicht die Entscheidungen der Polizeibehörden, sondern, dass Grundwerte dieser Gesellschaft wie Höflichkeit, Respekt und Anstand komplett verwahrlost in allen gesellschaftlichen Schichten und Berufsgruppen in Erscheinung getreten sind. Hier wird munter beleidigt, überzogen, sich moralisch abgekanzelt, sich für etwas Besseres gehalten, diktiert, geschrien, ignoriert, skandalisiert, sich überhöht und generell für zu wichtig genommen.

Ich habe am Stand der Sächsischen Landeszentrale am Samstag fünf Stunden und am Sonntag 10 Stunden stetig mit Befürwortern und Gegnern von Pegida, und der aktuellen Politik stundenlang diskutiert, debattiert und gestritten. Frust war von allen Seiten zu spüren. Frust über Politik, Frust über die mediale Berichterstattung, Frust über das Wirken der Verantwortlichen, Frust über den Ruf der Stadt und des Landes. Aber bis Sonntagabend waren allesamt mehr oder minder froh, dass das Fest zur Deutschen Einheit friedlich und allen voran - bis auf wenige Ausnahmen - würdevoll ablief.

Doch von Würde war dann nur wenige Stunden später am eigentlichen Tag der Deutschen Einheit nichts mehr zu spüren. Auch die Diskussionen – dann nicht mehr offline, sondern online, wurden deutlich rabiater. Die Auseinandersetzungen überzogener. Fast trunken vor Adrenalin und den immer weiter reinströmenden Tickermeldungen, war man von Problemlösungen und sachlichem Streit Lichtjahre entfernt. Die ersten Presseberichte stellten die ganze Stadt, ja den ganzen Freistaat kollektiv in die dunkle Ecke. Die Reaktionen darauf waren absehbar. Und das, was von vielen bereits seit Tagen erwartet und mancherorts gewünscht war, nahm seinen Lauf. Das Anschreien von Gottesdienstbesuchern und das unflätige Brüllen wurden kollektiv als Meinungsfreiheit zugelassen und das Ergebnis des Tages konnte man dann vereinfacht mit einem Post eines Facebooknutzers zusammenfassen: „Dresden, war ja klar!“

Bei mir ist seit dem Einheitswochenende wirklich Einiges klarer geworden:

Die älteren Herren, die mir sehr anschaulich schilderten, dass ihre Rente gerade so zum Leben reichen und die Ungleichheit ihnen tagtäglich vorgelebt würde. – Den Frust, ich konnte ihn sehr gut nachvollziehen.

Die Dame, die mir berichtete, wie es sich anfühlte, wenn die Diäten in den Parlamenten stei-gen würden, während ihr Gehalt seit Jahren gleichbleibend niedrig bliebe - Ich kann es nachvollziehen.

Die Besucherin aus Hamburg, die davon berichtete, dass Dresden eigentlich so eine schöne Stadt sei, aber man nicht mehr weiß, wer hier allmontaglich das Sagen hätte - ich kann es nachvollziehen.

 

Wofür ich aber absolut kein Verständnis mehr habe, ist diese durch nichts zu rechtfertigende Verwahrlosung des Miteinanders.

Wofür ich absolut kein Verständnis habe, ist das Bedrohen, das Beschimpfen und allen voran das laute Anbrüllen von Menschen. Dieses unflätige Verhalten beschämt mich zutiefst.

Wofür ich kein Verständnis mehr habe, ist das moralische Abkanzeln einer ganzen Stadt für das Handeln weniger.

Wofür ich absolut kein Verständnis mehr habe, sind die steten Provokationen, das ständige Skandalisieren und der stete Versuch die Deutungshoheit über alle Belange für sich zu beanspruchen.

In dieser Stadt tragen viele Menschen: sogenannte Patrioten, Bürger, Politiker und Andere gleichermaßen dazu bei, dass sich weder die Situation beruhigt, noch die Probleme, egal welcher Art gelöst werden. Von einer Hiobsbotschaft zur Nächsten wünscht man seinem jeweiligen Gegenüber das Schlechteste. Konstruktive Streitkultur suchte man vergebens. Probleme löst so niemand.

Statt also groß und mit Eifer auszuwerten, wer denn nun Schuld habe und wie das alles so gekommen ist, wie es viele befürchteten, sollte sich jeder Einzelne selbst sprichwörtlich mal wieder regelmäßiger an die eigene Nase fassen, sein eigenes Handeln hinterfragen und sich selbst die Frage stellen: trage ich etwas Sinnvolles dazu bei, dass die vielfach angesprochenen Probleme und die derzeitige Situation in dieser Gesellschaft, in dieser Stadtgesellschaft gelöst werden können. Wir täten einfach alle gut daran, bei uns selbst genau darauf zu achten.

Das Problem scheint mir jedoch – auch nach den letzten Tagen, dass diejenigen, die das ohnehin schon regelmäßig tun, sich unberechtigterweise angesprochen fühlen und die, die es tun sollten, es nicht verstehen oder gleich abwinken.