Braunau in Mecklenburg

Die Autorin und Künstlerin Birgit Lohmeyer berichtete von Arrangement und Widerstand in der „National befreiten Zone“ Jamel bei Wismar

Er habe lange keine so aufmerksame und konzentrierte Zuhörerschaft im Saal der Landeszentrale erlebt, verabschiedete Direktor Frank Richter am 5.Januar die zahlreich erschienenen Gäste. In der Tat stießen die Erfahrungsberichte der Autorin Birgit Lohmeyer aus Mecklenburg-Vorpommern auf wohlwollendes Interesse, blieb auch die anschließende Diskussion sachlich und wenig kontrovers. Offenkundiger harter Rechtsextremismus, mit dem die Lohmeyers in engster dörflicher Nachbarschaft leben, ist zwar ein sehr ernstes Thema, aber auch eines, bei dem die Fronten noch klar zu ziehen sind. Latenter Nationalismus, weit verbreitete Ressentiments gegen Ausländer oder Politikverdrossenheit, die sonst das Publikum entzweien, spielten an diesem Dienstag nur eine marginale Rolle. 

Wie hält man das aus?

In der Imbiss- und Gesprächspause, die auf den ersten Veranstaltungsteil folgte, dominierte die immer wieder gestellte Frage: Wie hält man das aus? Anschaulich und durch eine Präsentation unterstützt hatte Birgit Lohmeyer geschildert, wie sie und ihr Mann Horst in das 40-Seelen Dorf Jamel bei Wismar gelangten und welches Milieu ihnen dort begegnete. Die vor allem mit Kriminalgeschichten erfolgreiche Schriftstellerin und Fotokünstlerin floh 2004 gewissermaßen aus der Großstadt Hamburg aufs Land in die vermeintliche Mecklenburger Idylle. Auch wenn die Wochenzeitung „Die Zeit“ Jamel als „kleines, grauenhaftes Dorf in einer abgehängten Region“ bezeichnet, hatten sich die Lohmeyers doch in den Forsthof am Ort verliebt.

Die Entscheidung für einen Umzug nennt Birgit Lohmeyer jetzt zwar „naiv“, steht aber zu ihr. Denn das Paar erfuhr bald etwas über einen berüchtigten Nachbarn, entschloss sich dennoch zum Kauf des Hofes. Ein einzelner Nazi wie Sven Krüger schien zu diesem Zeitpunkt „verkraftbar“. Der maßgebliche NPD-Funktionär weist inzwischen 51 Vorstrafen auf, darunter wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruchs und gewerbsmäßiger Hehlerei. Mehrere Jahre saß er in Haft. Krüger trat als Abrissunternehmer auf, entsorgte höchstwahrscheinlich auch illegal Müll in Jamel.

Wie in finstersten deutsche Zeiten

Vor allem aber baute der ehemalige Hammerskin-Führer das Dorf zu einer „National befreiten Zone“ aus. Für die meist in seiner Firma beschäftigten Gesinnungsgenossen kaufte er immer mehr Grundstücke auf. Besucher des an einer Sackstraße gelegenen Dorfes, zu denen auch Landeszentralen-Direktor Richter eher zufällig im Urlaub gehörte, fühlen sich in finsterste deutsche Zeiten zurückversetzt. „Dorfgemeinschaft Jamel ´frei, sozial, national`“ steht groß auf einer Garage zu lesen. Ein Mehrfachwegweiser gibt die Entfernungen zu ehemaligen deutschen Gauen an. „Braunau am Inn 855 km“ verweist ein Pfeil auch auf den Geburtsort Adolf Hitlers. Krügers Firma wirbt mit einer Plakette, wo innerhalb eines Zahnrades ein Arbeiter mit einem Vorschlaghammer einen Judenstern zerschlägt.

In der Gemeinde Gägelow, zu der Jamel gehört, erzielte die NPD bei der letzten Kommunalwahl 2011 einen Stimmenanteil von 11,7 Prozent. Vor allem konnte Krüger im unweit gelegenen Grevesmühlen sein festungsartig geschütztes „Thing Haus“ als regionalen rechten Stützpunkt einrichten. Konzerte, Hammerskin-Partys oder Sonnenwendfeiern finden hier statt. Ehemalige SS-Scharführer werden zu Begegnungsabenden eingeladen. Aufschriften verkünden - im Doppelsinn platt „Lever dood as Slaav“ und zeigen die germanische Sieg-Rune.

Demokratischer Trotz

Bei manchen gezeigten Fotos ging ein Raunen durch die Gäste. Welch sprichwörtlich dickes Fell muss man besitzen, um in einem solchen Milieu durchzuhalten? Schon vor den Pausengesprächen kam diese Empathie in einigen Fragen zum Ausdruck, die Moderator Tim Deisinger oder das Publikum stellten.

Die Forsthof-Bewohner blieben ja nicht passiv, und wer Birgit Lohmeyer in diesen zweieinhalb Stunden beobachtete, konnte sich einen Rückzug bei ihrem Naturell auch kaum vorstellen. „Unser demokratischer Trotz ist gewachsen“, erklärte sie. Konkret äußert sich der in offenen Kulturveranstaltungen, in kleinen Festivals wie „Jamel rockt den Förster“ Ende August , mit offenen Gärten. In Kirchen, Schulen und Vereinen bietet sie mit Vorträgen Aufklärung an.

Unterstützung und Anerkennung bleiben auch nicht aus. Eine Radtour von SPD, Linken und Grünen führt jährlich hierher. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse besuchte den Ort, die „Toten Hosen“ gaben spontan ein Konzert. Zahlreiche Preise würdigten das Engagement des Paares, darunter der Paul-Spiegel-Preis des Zentralrates der Juden in Deutschland oder die Auszeichnung „Helden des Nordens“ durch den NDR und mehrere Tageszeitungen. Ein NDR-Reporter lebte für eine Reportage vier Wochen im Dorf. Der Kulturradweg Schweriner See – Ostsee führt nun über Jamel. Auch die Gemeinde Gägelow tat, was möglich ist, und sicherte sich die letzten freien Grundstücke am Ort.

Mehr als nur Pflichterfüllung

Auf Anerkennung auch bei den Dresdner Hörern stieß die klare Positionierung von Dr. Michael Peters, Leiter der Polizeiinspektion Wismar. Sie klang nach mehr als nur Pflichterfüllung, auf die sich Beamte auch zurückziehen können. „Wichtig ist, dass auch das Führungspersonal vor Ort Gesicht zeigt“, verblüffte Peters. Er selbst kennt Jamel sehr genau, durch das mindestens einmal täglich ein Streifenwagen fährt. Im Thing Haus konnten durch konkrete Gefahrennachweise schon mehrfach Veranstaltungen verboten werden, wobei oft sehr schnell reagiert werden muss. Gäste werden generell kontrolliert. Unter ihnen findet sich ein hoher Anteil polizeibekannter Straftäter, der nach Peters Angaben bis zu 70 Prozent betragen kann. Der Polizeichef plädierte klar für einen Erfolg des NPD-Verbotsverfahrens, zumal sich im Thing Haus auch die Büros der Nazigrößen Udo Pastörs und Stefan Köster befinden.

Reaktionen der Nazis auf ziviles Engagment und Verfolgungsdruck blieben leider ebenfalls nicht aus. Zwar wurden die Lohmeyers noch nicht tätlich angegriffen, wohl aber Besucher. Beleidigungen sind sie gewöhnt, Anfreundungsversuche mit Dorfbewohnern, die den braunen Spuk tolerieren, seien zwecklos, antwortete Birgit Lohmeyer auf Fragen nach dem Alltag. Das 2 500 Quadratmeter große Grundstück biete auch einen gewissen Schutz. Die als neuer Saal vorgesehene Scheune aber schützte niemand, als sie am 13.August des Vorjahres offensichtlich angezündet wurde.

Braune Höherbelastung in Sachsen

Die abschließende Diskussion fügte den eindeutigen Bildern aus dem Kreis Nordwestmecklenburg nur noch einige allgemeine und sächsische Facetten hinzu. „Wenn zivilgesellschaftliche Strukturen Räume freigeben, stoßen Nazis hinein“, lobte Martin Döring vom Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz noch einmal die Präsenz der Lohmeyers. Sebastian Reißig, eines der bekanntesten Gesichter der Pirnaer „Aktion Zivilcourage“, untersetzte dies mit Erfolgsberichten demokratischer Initiativen im Landkreis Sächsische Schweiz. Auf Landesebene habe man sich allerdings erst sehr spät auf Gegenmaßnahmen besonnen, bis ein „deutliches Umdenken“ einsetzte, das auch Reißig anerkennt.

An einem Punkt, der sonst das größte Potenzial für Auseinandersetzungen bietet, führte die Diskussion nicht weiter. Verfassungsschützer Döring geriet bei Fragen nach dem Verhältnis zum Rechtspopulismus immer mehr in den Mittelpunkt. „Ich darf mich eigentlich nur zu Extremisten äußern“, zog er sich nicht immer glücklich, aber mit Blick auf die Aufgaben und Kompetenzen des Verfassungsschutzes erklärbar aus der Affäre. Eindeutig sprach er von einer „signifikanten braunen Höherbelastung im Freistaat“, verglichen mit anderen Bundesländern. Präventionsarbeit sei sehr wichtig, betonte Döring.

Prävention als Heimatschutz

Wo die ansetzen müsste, hatte schon Birgit Lohmeyer angedeutet, als es um die Kinder der Nazifamilien in Jamel und um ihre Fortbildungsangebote an den Schulen ging, die diese Kinder besuchen. Die wurden nicht etwa dankend angenommen. Latent nationalistische und fremdenfeindliche Einstellungen mitten in der Gesellschaft, „Schnittmengen mit Nazis“ bei Rechtspopulisten und deren Anhängern, wie Martin Döring sagte, wurden an diesem Abend nur gestreift.

Es bleibt der Respekt vor einem Paar, vor einer Autorin, die sich 2004 trotz gleicher Sprache „zunächst wie im Ausland“ in Jamel fühlte, sich aber dennoch weder einschüchtern lassen noch ins Private zurückziehen wollte. Und die trotz Angst und angespannter Atmosphäre auch von netten Menschen und einer wunderbaren Umgebung schwärmt und bekennt, Jamel sei in 11 Jahren „auch Heimat geworden“. 

Michael Bartsch ist Freier Journalist und schreibt u.a. für DNN, TAZ und Neues Deutschland