Auf deutschen Spuren in Polen: Eine Studienreise nach Auschwitz und Breslau

Schon seit vielen Jahren führt die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung Studienfahrten nach Auschwitz und Breslau durch. So verschieden wie die Teilnehmer sind auch die Erfahrungen, die jeder Einzelne an diesem besonderen Ort macht. Lesen Sie dazu einen persönlichen Reisebericht von zwei jungen Praktikanten der Landeszentrale.

Wir besuchen das KZ Auschwitz – kein ganz einfaches Vorhaben

Bautzen, 02. Oktober 2014, 10 Uhr morgens: Der Bus steht bereit, die Teilnehmer sind startklar. Vor uns liegen mehr als 400 km und mehrere Stunden Fahrt zu unserem östlichen Nachbarn Polen. Genauer: Es geht nach Oświęcim, früher bekannt unter dem Namen Auschwitz. Was uns dort erwartet, wissen wir alle – doch die wirklichen Ausmaße scheinen uns im Augenblick noch weit entfernt. Offiziell endet der erste Tag, dank unseres polnischen Begleiters „Matschie“, wie wir ihn liebevoll nennen, mit einer kurzen Unterrichtsstunde Polnisch. Später lassen wir den Abend bei kontroversen stets interessanten Gesprächen in einem der gemütlichen Restaurants Oświęcims ausklingen.
 

Tag 2 – Besuch des Stammlagers

Der nächste Tag beginnt früh. Erster Halt: Auschwitz, Stammlager (Auschwitz I). Spätestens jetzt überkommt die meisten Teilnehmer ein mulmiges Gefühl. Baracken, Stacheldrahtzäune und Beobachtungstürme vermitteln ein verstörendes Bild. Unser polnischer Tourguide erklärt uns, dass Auschwitz I das erste Lager gewesen sei, dem Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II) und Auschwitz-Monowitz (Auschwitz III), insgesamt 40 Lager, folgten. Das Lagersystem erstreckte sich über mehr als 40km². Das Hauptziel: „Vernichtung durch Arbeit“. Dies galt größtenteils Polen und Ungarn jüdischen Glaubens, Roma sowie Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion. Die Zahlen scheinen unvorstellbar: Circa 1,1 Mio. Menschen, davon 1 Million Juden, fanden in den Lagern in Auschwitz den Tod. Unser Tourguide fasst die Situation der Insassen folgendermaßen zusammen: „Sie waren weniger wert, als die Nummer, die sie trugen.“

Der Zynismus der Deutschen kannte keine Grenzen. Über dem Lagereingang ein Schild: „Arbeit macht frei“ und Blumenkästen an den Krematorien. Die Verbrennung der Leichen fand unter freiem Himmel statt. Von Ekel über Wut bis hin zu Apathie: Jeder der Gruppe reagierte auf seine Weise auf das Gesehene und Gehörte.

Die „Vernichtung“ der Deportierten wurde zu einem rein technischen Problem. Cyan-Wasserstoff, eigentlich ein Desinfektionsmittel und unter dem Namen Zyklon B bekannt, wurde zur Vergasung eingesetzt. Es verdampft bei hohen Temperaturen. Der Inhalt einer Dose genügte, um mehr als 1 200 Menschen zu ermorden.

Bei Ankunft im Lager mussten die Deportierten ihre Habseligkeiten abgeben. Somit stapelten sich Koffer, Schuhe, Brillen sowie abrasierte Haare tonnenweise und meterhoch. Man kennt Dokumentationen, Zeitzeugenberichte und Bilder. Wer aber direkt davor steht, erhält ein unmittelbares, furchteinflößenderes, Bild. Das Grauen ist nicht mehr Vergangenheit, sondern es ist real – es befindet sich wenige Zentimeter vor einem.

Auschwitz ist nicht zuletzt als der größte Friedhof der Welt ohne Gräber bekannt, aus dem es keinen anderen Ausweg als durch den Krematoriumsschornstein gab. Emotional wurde es auch bei der Besichtigung der Ausstellungen der verschiedenen Nationen. Jede dieser Schauen verfolgte ein anderes Konzept. Doch alle machten sprachlos.

Pinseln, Saugen, Putzen, Fetten.

Nach einer kurzen Erholungsphase durften wir hinter die Kulissen des Museums Auschwitz blicken. Wir lernten den Unterschied zwischen Restaurieren und Konservieren, warum beides Kompromisslösungen seien und warum man für die Aufbereitung von Schuhen verschiedene Arbeitsschritte zu beachten habe.

Den Tagesabschluss bildete ein gemeinsames Abendessen. Obgleich sich die Gedanken um das Erlebte drehten, wurde versucht, emotional zur Ruhe zu kommen. Natürlich gehörte hierzu auch das traditionelle polnische Bier. In diesem Sinne: Na zdrowie!
 

Tag 3 – Das Grauen hat einen Namen: Auschwitz-Birkenau

Auf dem Tagesplan: Auschwitz-Birkenau. Der Gang auf einen Beobachtungsturm gab uns einen Überblick auf das gesamte Gelände. Eine unvorstellbar große Lichtung umgeben von Wald bot sich uns: Unzählige Baracken, teilweise erhalten, teilweise nur noch Ruinen. In Hektik von den Nazis niedergebrannt oder gesprengt, als sich die alliierten Streitkräfte näherten. Die Niederlage im Krieg war unausweichlich. Beweismittel für die begangenen Gräueltaten mussten nunmehr beseitigt werden.

Unser Tourguide führte uns über das schier endlose Gelände von Auschwitz-Birkenau. Auf dem Gebiet des Lagers befand sich zuvor ein Dorf, größtenteils von jüdischen Polen bewohnt. Die Deutschen rissen die Häuser nieder und verwendeten das Baumaterial für das zu errichtende Lager. Von den 10 000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die das Lager erbauten, haben 660 überlebt. Das Gebiet umfasst vier Krematorien, eine Ausladerampe und mehrere Gaskammern.

Nicht arbeitsfähig = Todesurteil

Täglich trafen mit dem Zug Tausende Menschen aus ganz Europa ein (bis zu 60 je Waggon), die vor Ort selektiert wurden. Es wurde zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Arbeitsfähigen und nicht Arbeitsfähigen getrennt. Die Arbeitsfähigen wurden registriert und auf Baracken aufgeteilt, die bis zu 1 000 Personen beherbergten. Von den schätzungsweise 1,3 Mio. Deportierten wurden freilich lediglich circa 400 000 Menschen registriert. Alle anderen, die als nicht arbeitsfähig klassifiziert worden waren, wurden nach Ankunft in Auschwitz vergast.

Es war modrig, kalt und feucht. Krankheiten wie Typhus verbreiteten sich rasch und ungehindert. Die Sanitärbaracken bestanden aus 48 Latrinen direkt nebeneinander, aufgeteilt auf vier Reihen. Diese durften zweimal pro Tag für wenige Minuten benutzt werden. Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal.
 

Es geht nach Wroclaw, dem früheren Breslau

Samstag, 04. Oktober 2014, nachmittags: Nach zwei schwierigen und emotionalen Tagen verlassen wir Oświęcim und fahnden nach deutschen Spuren in Wroclaw. Heute ist die an der Oder gelegene Metropole mit knapp 630 000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Polens. Bis 1945 trug sie den Namen Breslau. Aufgrund der Neuaufteilung Europas in Potsdam kurz nach Kriegsende liegt die Stadt seither auf dem Staatsgebiet Polens. Im Zweiten Weltkrieg wurde Breslau zu 70 Prozent zerstört, manche Stadtgebiete gar zu 90 Prozent. Ja, man sieht es ihr heute noch an – aber die Stadt hat Charakter.

Die polnische Küche – zum Verlieben

Am Abend des 04. Oktobers gehen wir in ein Restaurant am Rathausplatz. Wir genießen das polnische Essen. Hatten wir zuvor schon Barszcz-Suppe und Pierogi probieren können, werden uns weitere Köstlichkeiten Polens aufgetischt – darunter Folienkartoffeln, Salzgurken, Bigos, ein Schmoreintopf, sowie Hering mit Dill. Wir sind uns einig: Lecker! Die Stimmung ist gelöst. Wir vergessen die Eindrücke aus Oświęcim nicht. Dennoch, nach all der schwer zu ertragenden Geschichte, erleben wir nun die Gegenwart Polens in einer lebendigen Stadt. Nach einem Wodka, den wir als Gäste nicht ablehnen möchten, endet der gemeinsame Abend in der Gruppe.
 

Tag 4 – Die deutsch-polnische Versöhnung

Nach einer kurzen Nacht erfahren wir in einem Stadtrundgang mehr über Wroclaw. Als polnische Stadt mit deutscher Vergangenheit ist Wroclaw ein Spiegelbild für die seit jeher schwierige deutsch-polnische Beziehung. Die Stadt steht allerdings auch für den Wunsch nach Versöhnung zwischen beiden Nationen. 20 Jahre nach Kriegsende, das heißt desgleichen 20 Jahre nach den Verbrechen von Auschwitz und anderswo, schrieb Boleslaw Kardinal Kominek, Breslauer Bischof, seinen deutschen Kollegen – auf Deutsch! Der bedeutendste Satz lautet: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“

Eine beachtliche Geste: Kardinal Kominek stellte nicht nur die Versöhnung zwischen Polen und Deutschen in Aussicht, sondern entschuldigte sich ebenso für die von den Polen an den Deutschen verübten Racheakten nach Kriegsende.

Zwerge dieser Welt vereinigt euch!

In diesen Tagen feiert Deutschland 25 Jahre Friedliche Revolution. Die Unzufriedenheit, die jene erst ermöglichte, war im gesamten Ostblock zu beobachten. Zum ersten Mal brach sich diese im Jahr 1980 in Polen Bahn – die Solidarność wurde gegründet. Auch in Wroclaw wuchs die Unzufriedenheit in den 1980ern. Um sich nicht offen mit den Machthabern anzulegen, demonstrierten Breslauer Studenten als Zwerge verkleidet, so dass eine Versammlung nicht sogleich als politische Willensbekundung erkannt werden konnte. Wie in der DDR begann ein „Katz-und-Maus-Spiel“ mit den staatlichen Sicherheitsorganen.

Die Farbe Rot war ein Symbol für die Kommunistische Partei, so dass die Breslauer Zwerge keine roten sondern orange gefärbte Mützen getragen haben. Mit Parolen, wie z.B.: „Zwerge dieser Welt vereinigt euch“, zogen sie durch die Stadt. Um diesem Kapitel Rechnung zu tragen, kann man seit gut zehn Jahren an vielen Ecken der Stadt kleine Zwerge finden. Übrigens: Ein Breslauer Zwerg steht auch in der Partnerstadt Wroclaws, Dresden. Beide Städte haben also einiges gemeinsam.


Polen – was bleibt?

Wroclaw, 05. Oktober 2014: Vier intensive und anstrengende Tage haben wir in Polen verbringen können. Für uns ein gelungener Spagat zwischen Historie und Gegenwart. Im Gespräch erfahren wir, dass sich für den einen oder anderen Teilnehmer die Sichtweise auf Polen verändert hat. Es war der erste Aufenthalt in Polen – und ganz bestimmt nicht der letzte. Es warten noch viele weitere Dinge darauf, von uns entdeckt zu werden!

Bis zum nächsten Mal,

Do widzenia!